Bijagos, Unterwegs-Blog
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Vorstoss ins Herz der Bijagós

Sailing in the Bijagos.

Als die Sonne am 7. November 2023 hinter dem Dunstschleier aufging, offenbarte sie uns unseren Ankerplatz, den wir in Nacht zuvor in völliger Dunkelheit angesteuert hatten. Vielleicht eine halbe Seemeile entfernt lag eine flache Insel. Sie schien beinahe auf dem bräunlichen Wasser zu schweben und irgendwie nicht real zu sein. Wie aus einem Traum erschien sie uns, die wir noch immer müde von der Überfahrt und gesundheitlich nicht gerade fit waren. Über einem Saum hellen Sandes erhob sich ihr grüner Kern aus Urwald. Vogelstimmen drangen übers Wasser. Menschen aber waren nirgends auszumachen. 

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Orangosinho, so heisst dieses Stückchen Land im Nirgendwo, war unsere erste Begegnung mit dem Bijagós-Archipel. Dieses besteht aus 88 Inseln und Inselchen. Aber an diesem Morgen war von den benachbarten Eilanden nichts zu sehen. Als wäre Orangosinho der einzige feste Boden weit und breit. 

The island of Orangosinho in the haze.

The island of Orangosinho in the haze.

Die sieben anderen Yachten unserer Expedition lagen etwas näher zum Ufer. Wir hatten auf fünf Meter Wassertiefe den Anker fallen lassen und hatten uns deutlich näher zum Land hin gewähnt. Aber die Gewässer, die die Bijagós durchströmen, sind nicht tief. In den grossen Kanälen können es zwar manchmal über 30 Meter sein. Aber die Seitenzweige dieses riesigen Netzes aus Wasseradern sind für Yachten wie die unseren allenfalls bei Flut befahrbar, wenn überhaupt.

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Und Flut und Ebbe spielen eine Hauptrolle in dieser Welt fernab der Trampelpfade des Yachttourismus. Bis zu vier Meter kann der Gezeitenunterschied betragen, und mit der Gezeit geht ein Strom einher, der die Fahrrinnen mitunter in reissende Flüsse verwandelt. Über zwei Knoten können sie erreichen und pumpen das Wasser aus dem Archipel ins Meer und wieder zurück. Sie befördern auch eine Menge Müll. Latschen und Schuhe, Flaschen, Kanister, Plastiktüten und -tütchen, zerfetzte Fischernetze, Putzschwämme, Damentaschen, zerfranste Leinen. Alles, was die sogenannte Zivilisation in Kunststoff produziert, schwimmt an diesem Morgen an uns vorbei. 

Und genau deswegen waren wir eigentlich gekommen. Eigentlich.

Es begann auf den Azoren

Die Geschichte dieser Reise beginnt viel früher. Irgendwann kurz nach meiner Rückkehr von den Kanaren im Frühjahr 2023. Auf der Terrasse des Clube Nautico von Vila do Porto auf meiner azorianischen Heimatinsel Santa Maria treffe ich einen hageren Mann mit schütterem Haar und Dreitagebart. Er heisst Miguel Teixeira. Seine Familie stammt aus Madeira und es heisst, er sei ein Nachfahre jenes Tristão Vaz Teixeira, der 1419 zu den ersten Portugiesen gehörte, die auf der Insel gelandet sind. Miguel ist Unternehmer und vielleicht auch eine Art Abenteurer wie sein Vorfahre. Heute bin ich mir nicht sicher, ob ich in ihm den cleveren Geschäftsmann oder den romantischen Träumer sehen soll. Aber unter Umständen schliessen sich diese Eigenschaften ja nicht aus.

Auf der Terrasse des Clube Nautico mit Blick auf den Hafen erzählt Miguel von den Bijagós, von denen ich bis zu diesem Augenblick nie etwas gehört hatte. Er beschreibt sie als Paradies, als vielleicht letztes Paradies Afrikas, dessen Menschen noch nach den traditionellen Regeln leben, wo Königinnen regieren und Rituale das Dasein bestimmten. Doch sei dieses Paradies in Gefahr, vom Müll verschluckt zu werden, erzählt Miguel. Und deshalb sollten wir dorthin segeln: Um Plastik zu sammeln, seine Herkunft zu bestimmen und einen Bericht zu schreiben. Alles in der Hoffnung, Geldmittel zu fördern, um dem Übel zu begegnen.

Ich war sofort begeistert von dem Projekt, weil es Segeln mit einem Zweck verband. Es machte das Reisen sinnvoll und sollte mich überdies in eine Gegend führen, die ich alleine nie bereist hätte: Afrika war für mich nicht nur eine Terra incognita. Ich fürchtete mich auch vor Korruption und das Risiko, dort das Schiff zu verlieren, wenn es in irgendeiner Weise Schaden nehmen sollte.

Doch Miguel versprach nicht nur die Organisation, die Beschaffung von Visa und eine Begleitung vor Ort. Die Reise sollte auch unter der Schirmherrschaft der portugiesischen Botschaft stehen. Das klang gut und sicher. Ich sagte zu.

Pijamas und Babykleider an Bord

Vor dem Aufbruch allerdings änderte sich der Zweck der Reise bereits ein wenig. Aus unserer zunächst als wissenschaftlich apostrophierten Expedition wurde eine wissenschaftlich-humanitäre  und an Bord von Blue Alligator kamen drei grosse Säcke mit Kleidern, Pijamas und Baby-Sachen aus der örtlichen Sammelstelle für Bedürftige. 

Miguel hatte zudem Spitalartikel und Lebensmittel organisiert, die er auf den Insel zu verteilen gedachte. Als wir von den Kapverden zur letzten Etappe zu den Bijagós aufbrachen, waren die acht Yachten tatsächlich so etwas wie schwimmende Secondhand-Lager. Und nun waren wir angekommen mit unserer Ladung, über deren Verteilung im Grunde nur Miguel Bescheid wusste. Auf Orangosinho auf jeden Fall würde nichts abgeladen. Vielmehr hiess es noch am Vormittag Anker auf.

Das nächste Ziel war Bolama. Die Stadt liegt rund 40 Seemeilen nördlich in einem Seitenarm eines Hauptfahrwassers. Wir würden sie nicht am selben Tag erreichen, weil die Gezeit vorher kenterte. Also vereinbarten wir einen weiteren Ankerplatz. Dieser lag deutlich näher an den Ufern zwischen zwei Inseln, der grösseren Roxa und der deutlich kleineren Ilheus dos Porcos. Schweine haben wir nicht gesehen. Doch dieser Ankerplatz verdient wirklich, als paradiesisch bezeichnet zu werden, zumal er auch von Müllströmen weitgehend verschont bleibt.

Once a cinema, now a ruin.

Auch wenn die Kanäle zuweilen relativ schmal sind, versuchten wir doch, wenn immer möglich zu segeln. Und unterstützt durch den Gezeitenstrom erreichten wir Bolama am folgenden Tag beizeiten.

The lineup for our reception in Bolama.

The lineup for our reception in Bolama.

Wir wurden schliesslich erwartet. Auf dem langen Pier, der weit ins Wasser hinausragt, hatten sich die Offiziellen des Ortes aufgereit: Polizisten aller möglichen Einheiten, die Vertreter des Gouverneurs der Bijagos, Zuständige für Fischereiwesen und wahrscheinlich auch jemand für den Tourismus. Wir schüttelten Dutzende Hände, nannten ebenso oft unsere Namen und bekamen das Gefühl, die Vertreter einer wirklich wichtigen Delegation zu sein, obgleich wir in unseren uniformen T-Shirts, die Miguel hatte herstellen lassen, eher wie eine in die Jahre gekommene Pfadfindertruppe wirkten.

Koloniale Pracht in Ruinen – Bolama

Bolama war zwischen 1879 bis 1941 die Hauptstadt der portugiesischen Kolonie Guinea-Bissau, bis diese 1974 ihre Unabhängigkeit errang – in einem blutigen Krieg. Der Stadt sieht man ihre koloniale Vergangenheit an. Doch was einst palastartige Bauten, ein öffentliches Bad, Bars und Cafés waren, sind heute weitgehend Ruinen. Die koloniale Pracht ist zerfallen und die Menschen leben in den ausgehöhlten Überbleibseln der einstigen Herren, ohne an einen Wiederaufbau zu denken. Der  Markt im Zentrum hat kaum etwas zu bieten. Immerhin können wir dort bei einem  Händler Geld wechseln. Es geht zu wie in einem Bienenhaus, als die westafrikanischen Francs bündelweise gegen Euros eingetauscht werden. Die zwei Katzen, die unter der Bank des Händlers schlafen, lassen sich davon nicht aus der Ruhe bringen.

Changing Money in the market for Bolama.

Changing Money in the market for Bolama.

In Bolama bekommen wir unsere Visa und Einreisestempel, was uns pro Nase über 80 Euro kostet. Reisen in Afrika ist nicht günstig. Zunächst wollen die Behörden auch unsere Pässe einbehalten. Wir wehren uns erfolgreich dagegen. Doch die Prozeduren dauern und der erste Tag in Bolama geht zu Ende, ohne dass wir viel erreicht oder gesehen hätten. Einzig ein ausgezeichnetes Mittagessen konnten wir ergattern. Ob das Lokal, wo wir assen, ein Restaurant war oder bloss ein Privathaushalt, lässt sich nicht sagen. Geschmeckt hat der gegrillte Fisch mit Reis und einer scharfen Sauce auf jeden Fall vorzüglich. 

Der ungekrönte König der Bijagós 

Das Warten wird auch in den kommenden Tagen zur Gewohnheit werden. Doch nun waren wir ins Herz der Bijagos vorgestossen und sollten bald einen Mann kennenlernen, der für mich so etwas wie der ungekrönte König der Bijagós verkörpert, einen Mann mit einem Traum und dem Willen, ihn umzusetzen: Adelino Da Costas. Im nächsten Blogbeitrag werde ich ihn vorstellen.

Kategorie: Bijagos, Unterwegs-Blog

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Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

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