Bijagos, Unterwegs-Blog
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Segeln durch schmales Fahrwasser auf den Bijagós

Sailing in the Bijagós. The Duch yacht Bluehemian in the foreground.

„Unserveyed – nicht erkundet“ lese ich auf der elektronischen Karte und „Navigational Aids unreliable – Navigationshilfen unzuverlässig“. Das ist eine Übertreibung; denn es gibt in den Gewässern der Bijagós – abgesehen vom Geba-Fluss, wo die Frachtschiffe verkehren – keine Navigationshilfen: keine Kardinaltonnen, keine Gefahrenzeichen, nichts.

Leaving the anchorage at Anchaca Lounge with the yacht Bluehemian.

Leaving the anchorage at the Anchaca Lounge with the yacht Bluehemian.

Mit GPS und Gottvertrauen

Ein paar Fahrwasserbojen, rot und grün, wären gerade äusserst hilfreich. Ich steuere Blue Alligator, meine Victoria 34, durch einen Seitenarm abseits der breiten Kanäle – durch ein sich zwischen Inseln und Sandbänken dahin schlängelndes Band befahrbaren Wassers.

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Dieses Band ist allerdings nur auf dem Display meines Kartenplotters sichtbar: ein Streifen helleren Blaus, das zwischen dem Grün der Untiefen und den gelb eingefärbten Flächen verläuft, die festes Land markieren. Von blossem Auge sind diese Untiefen im trüb braunen Wasser nicht auszumachen und so navigiere ich nach GPS und mit Gottvertrauen.

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Ab und zu hebt sich der Grund und die Anzeige des Tiefenmessers fällt unter zehn Meter. Ich steuere dann etwas zur Seite und beobachte die Werte. Fallen sie oder steigt sie? Ich taste mich voran wie ein Blinder.

Auf die Instrumente angewiesen

Deutlich wird mir bewusst, wie sehr ich von der Elektronik an Bord abhängig bin. Würde sie ausfallen, ich wäre hilflos. Ich besitze zwar ein Handlot, ein altmodisches Ding, bestehend aus einem Stück Blei an einer langen Leine mit Markierungen. Aber wie sollte ich es bedienen und gleichzeitig steuern? Und überhaupt: Ich habe es noch nie benutzt und würde erst einmal üben müssen.

Hinter mir folgt die holländische Yacht Bluehemian, die mit mir den Ankerplatz vor der Anchaca-Lodge auf der Insel Rubane am Morgen verlassen hat. Die Holländer haben mich vorausgeschickt, sozusagen als Scout, denn Blue Alligator weist einen Tiefgang von nur knapp 1.50 Metern auf gegenüber den zwei Metern von Bluehemian.

Eigentlich sollte der Gezeitenstrom mit uns sein. Aber hier in den schmalen Kanälen zwischen den Inseln, Inselchen und Sandbänken will er sich nicht an die Regeln halten. Er kommt manchmal von vorne, manchmal von von der Seite, selten von hinten. Und er ist stark. Zwei Knoten sind in den Bijagós keine Seltenheit. Oft erreicht er auf seinem Höhepunkt drei Knoten.

Weil wir im Zickzack fahren, können wir auch nicht immer segeln. Damit wir vorankamen, muss der Motor mithelfen.

The route that Navionics calculated through the archipelago.

The route that Navionics calculated through the archipelago.

What seems a narrow fairway on the chart looks in reality like s wide strech of water.

What seems a narrow fairway on the chart looks in reality like a wide stretch of water.

Für die Bijagós gibt es keine aktuellen Seekarten auf Papier. Die elektronischen Karten, die ich auf meinen Plotter und das iPad heruntergeladen habe, müssen reichen. Ich nutze Navionics und folgte der Route, die das Programm vorab berechnet hat.

Die Karte und das GPS haben uns bereits bei der Ankunft auf den Bijagós in völliger Dunkelheit sicher an den ersten Ankerplatz geführt. Aber Sandbänke wandern und mit Überraschungen ist zu rechnen.

Sandbank voraus

Eine solche Überraschung erlebte ich, als ich ein paar Tage vorher im relativ breiten Fahrwasser von der im Süden gelegenen Insel Joao Vieira Richtung Ilheus dos Porcos aufkreuzte. Es war wunderbares Segeln und wir näherten unserem Ziel Schlag um Schlag. Diesmal half auch der Gezeitenstrom mit und Blue Alligator flog förmlich übers Wasser.

Map of Guinea-Bissau with the Bijagós archipelago. (source UN)

Map of Guinea-Bissau with the Bijagós archipelago. (source UN)

Ich liess den Windpilot steuern und genoss den Moment. Immer wieder ging ich hinunter, um mich auf dem Kartenplotter der Position zu versichern und abzuschätzen, wann die nächste Wende fällig wäre. Einmal muss ich die Zeit vergessen haben. Als ich endlich wieder den Kopf durch die Luke steckte und mich umsah, schoss wenige hundert Meter direkt voraus das Wasser über eine Sandbank. Auf der Karte war sie nicht verzeichnet gewesen.

Ich wendete, so schnell es die Segel zuliessen. Wären wir aufgelaufen, es hätte mich das Rigg kosten können. Mit fatalen Folgen.

Grössere Schäden können auf den Bijagós nicht repariert werden. Auch Ersatzeile für Motor oder Rigg sind kaum zu beschaffen. Nur schon Diesel aufzutreiben, ist mit Glück und Aufwand verbunden. Die Leute von der Anchaca-Lodge auf Rubane halfen uns dabei, und wir waren froh darüber.

Mit einem ihrer schweren Holzboote, das von einem starkem Aussenborder angetrieben wird, brachten sie uns nach Boubaque. Dort kauften wir allen Diesel, der in einem kleinen, dunklen Laden vorrätig war, etwas mehr als 200 Liter für drei Yachten.

Diesel comes in jerry cans of 25 liters in Boubaque.

Diesel comes in jerry cans of 25 liters in Boubaque.

Der Kraftstoff war in 25-Liter-Kanister abgefüllt, die einen wenig vertrauenserweckenden Eindruck machten. Adelino Da Costa hatte mich vorab gewarnt. Die Qualität des Diesels sei zweifelhaft, hatte er gesagt. Er hatte den jungen Verkäufer deshalb angewiesen, ein Stück Schaumstoff mitzugeben, mit dem wir den Kraftstoff filtern sollten. Dieser hielt vermutlich die gröbsten Schmutzpartikel ab. Aber ganz wohl fühlten wir uns nicht, als wir unsere Tanks befüllten.

Wasser konnten wir in Bolama in der Loja Verde, dem einzigen Laden der Stadt, bestellen. Es wurde ebenfalls in 25-Liter-Kanister abgefüllt. Der Besitzer der Loja brachte es in seinem kleinen Transporter runter zur Pier. Von dort mussten wir es mit unseren Dingis zu den Jachten transportieren. Das Wasser war gratis. Die Kanister aber mussten wir mieten. Während unseres Aufenthalts stieg der Preis kontinuierlich an.

The loja verde – the green shop – in Bolama.

The loja verde – the green shop – in Bolama.

Die hilfreichen Lodges

Das Wasser stammte vom Dorfbrunnen direkt vor dem Laden und wird mit einem altmodischen Schwengel hochgepumpt. Nach unserer Putzaktion in Bolama hatten wir dort geduscht wie in einer öffentlichen Badeanstalt. Ich nutzte dieses Wasser zum Kochen und zum Spülen des Geschirrs. Allenfalls riskierte ich, meinen Kaffee damit aufzubrühen. Es pur zu trinken, kam mir nicht in den Sinn, obgleich man uns versicherte, dass es trinkbar sei.

In der Lodge Chez Claude im Naturschutzgebiet João Vieira und Poilão sowie in der Anchaca-Lodge liess man uns Wasser direkt von den Leitungen abzapfen. Und man erlaubten uns auch, uns unter die Aussenduschen zu stellen.

Grilled barracuda at Chez Claude on João Vieira.

Grilled barracuda at Chez Claude on João Vieira.

Die beiden Lodges haben uns mit offenen Armen und viel Herzlichkeit empfangen. Und sie halfen uns nicht nur bei der Beschaffung von Diesel, Wasser und Vorräten.

Anchaca Lodge on Rubane.

The Anchaca Lodge on Rubane.

Gaston, der schweigsame Buchhalter der Anchaca-Lodge, organisierte überdies das Ausklarieren für uns. Am Vortag unserer Fahrt durch die Seitenkanäle liess er unsere Pässe zum Flughafen bringen, wo ihnen der Ausreisestempel eingedruckt wurde. Wir mussten nicht selbst beim Zoll vorstellig werden. Und wir wurden auch nicht zur Kasse gebeten.

Angst vor Uniformierten

Auf den Bijagós mag die Korruption noch nicht so ausgeprägt sein, wie in anderen afrikanischen Ländern. Aber wer Uniform trägt, nutzt auch dort gern die Gelegenheit zu einem Nebeneinkommen, wie uns ein französischer Segler versicherte, der in der Anchaca-Lodge gestrandet war und nun dort die Aufgabe hatte, die Angestellten anzutreiben.

Thanks to the official reception in Bolama and Boubaque the police left us in peace.

Thanks to the official reception in Bolama and Boubaque the police left us in peace.

Der ungekrönte König der Bijagós, Adelino Da Costa, will sich um das Problem kümmern. Fehlbare Polizisten sollen bestraft werden, verspricht er. Die Crews von Yachten sollen sich sicher fühlen. Wenn es jemand schafft, die Korruption zu zügeln, dann ist es Da Costa. Ich war auf jeden Fall froh, seine Telefonnummer gespeichert zu haben für den Fall der Fälle. Allein seine Stimme bewirkt Wunder.

Die Bilder von den Empfängen

Aber wir hatten selbst ein Ass im Ärmel: die Bilder von den Empfängen in Bolama und Boubaque. Bei unserer Ankunft in den beiden Orten war alles angetrabt, was Rang und Namen hatte, um uns die Hände zu schütteln. Als wir nach der Trennung der Flotte in zwei Gruppen mit nurmehr vier Yachten wieder vor Boubaque auftauchten, erkundigte sich die Polizei nach der schriftlichen Bewilligung, das Archipel zu befahren.

Ein solches Dokument, das natürlich etwas kostet, besassen wir nicht. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt auch nie etwas davon gehört. Aber zu behaupten, wir hätten uns klammheimlich eingeschlichen, konnte niemand, denn wir hatten die Bilder von den Empfängen. Diese schickten wir der Polizei und man liess uns von da an in Ruhe.

Die Polizei auf den Bijagós verfügt über keine Boote. Deshalb fürchten wir uns auf unserem letzten Schlag im Archipel durch die engen Kanäle auch nicht vor unliebsamem Besuch. Wir erreichen die Insel Caraxe im Norden ohne Zwischenfälle am frühen Abend und beschliessen, dort zu ankern. Kurz vor Mitternacht wollen wir unseren Weg fortsetzen. Im Laufe des Abends frischt der Wind auf und der Ankerplatz wird von Minute zu Minute unangenehmer. Ihn zu verlassen, fällt nicht schwer.

Schiffsverkehr und Fischernetze

Nun aber befinden wir uns im Geba-Fluss und das AIS, das Automatic Identification System, zeigt laufend Warnungen an. Ich funke ein paar Mal Frachtschiffe an, die meinen Kurs kreuzen könnten. Eine Stimme mit indischem Akzent bestätigt, mir ausweichen zu wollen. Auch der osteuropäisch klingende Offizier will den Kurs seines Riesenschiffes ändern, damit der kleine Segler ungestört weiterfahren kann.

Schwieriger ist es mit den Fischernetzen, die bis 30 Seemeilen vor der Küste im immer noch seichten Wasser gespannt sind. Sie hängen an Bojen, an leeren Kanistern oder Plastiklaschen. Wo die „Perlenschnur“ beginnt oder endet, lässt sich nicht sagen. Sie verliert sich zu beiden Seiten im Dunst oder zwischen den niedrigen Wellen. Ich weiss auch nicht, wie tief das Netze hängt, auf das ich am Morgen des folgenden Tages zuhalte.

Ich beschliesse, hindurchzufahren, kupple den Motor aus und lasse Blue Alligator zwischen zwei gelben Kanister hindurch treiben. Ich halte den Atem an in der Erwartung, mit dem Kiel hängen zu bleiben. Aber nichts geschieht.

Unter Sturmfock zu den Kapverden

Zu den Kapverden sind es nun noch rund 440 Seemeilen. Ich beabsichtige, zunächst die Insel Sal im Nordosten ansteuern und dann nach Mindelo weiterzufahren. Als ich jedoch das Vorsegel ausrolle, mache ich eine unschöne Entdeckung.

Blue Alligator besitzt eine sogenannte Rollreffanlage. Das bedeutet, die Genua, so heisst das grosse Vorsegel, wird um eine Führungsstange aufgerollt und kann bei Verwendung einfach von dieser abgerollt werden. Die Führungsstange besteht aus mehreren zusammengesteckten Teilen. Zwei dieser Teile haben sich voneinander gelöst.

Ich rolle die Genua etwas ein und hoffe, dass die Sache hält. Dann entdecke ich das eigentliche Problem: Die Leine, mit der die Genua hochgezogen wird, das Genuafall, ist ganz oben gerissen. Mir bleibt nicht andere übrig, als das Segel ganz einzurollen – und ich bin heilfroh, dass mir dies gelingt –, und die kleine Sturmfock zu setzen.

Under storm jib back to the Cape Verde Islands.

Under storm jib back to the Cape Verde Islands.

Die Sturmfock ist kein Ersatz für eine Genua. Sie ist ein kleines dreieckiges Segel, das, wie der Name sagt, bei Sturm zum Einsatz kommt. Gerade weht es aber eher schwach. Weit und breit ist kein Sturm in Sicht. Aber das kleine Segel ist besser als nichts. Später, als der Wind eher von der Seite und noch später von hinten einfällt, reicht das Grosssegel aus. Aber wir sind deutlich langsamer unterwegs als geplant.

Sal anzusteuern, ist nun sinnlos geworden. Ich würde dort keine Reparaturmöglichkeiten finden. Also direkt nach Mindelo auf São Vicente. Nach fünf Tagen nähere ich mich der Insel von Nordosten. Die Stadt liegt im Westen, eingebettet in eine tiefe Bucht und geschützt durch die grosse Nachbarinsel Santo Antao.

Ich nähere mich mit dramatischer Langsamkeit. Erst um Mitternacht erreiche ich die nördliche Einfahrt des Kanals zwischen den beiden Inseln. Und dort frischt der Wind beträchtlich auf.
Es ist der typische Düseneffekt zwischen zwei Landmassen, der auch auf den Kapverden den Seglern das Leben schwer macht. Insbesondere wenn sie bei stockdunkler Nacht unterwegs sind und nur ein Licht zur Orientierung haben, das Leuchtfeuer auf der Ilheu dos Pássaros direkt vor der Einfahrt zur Bucht.

Zu guter Letzt noch ein Wrack

In der Nacht sind Distanzen schwer einzuschätzen und die Durchfahrt zwischen der Ilheu dos Pássaros und der Ponta João Ribeiro, die das äussere Ende der Bucht markiert, scheint mir seit dem letzten Mal geschrumpft zu sein. Als ich die Segel berge und deshalb das Schiff in den Wind stelle, fürchte ich, jeden Augenblick aufzulaufen. Natürlich will das Grosssegel nicht einfach fallen. Ich muss mehrmals zwischen Mast und Cockpit hin und her eilen, um das Tuch zu bergen. Besorgt blicke ich über die Schulter und sehe das Ufer auf uns zukommen. Endlich kann ich abfallen und wieder in die Bucht hinein steuern.

Unter Motor fahre ich zum Ankerplatz. Der hat sich seit dem letzten Besuch Anfang November gefüllt. Die Segler, die den Atlantik überqueren wollen, sind gekommen. Ich muss nach einer geeigneten Stelle suchen, drehe mehrere Runden. Es ist inzwischen nach zwei Uhr und die Müdigkeit macht sich bemerkbar.

Wahrscheinlich sehe ich deshalb den Rumpf des Wracks, das schwarzglänzend wie ein Walrücken mitten im Ankerfeld liegt, erst im letzten Augenblick. Ich lege hart Ruder und wir kommen gerade noch knapp daran vorbei. Hinter dem Wrack lasse ich schliesslich den Anker fallen.

Ich bin zurück auf den Kapverden. Das Abenteuer Bijagós liegt hinter mir. Es ist der 5. Dezember 2023.

Kategorie: Bijagos, Unterwegs-Blog

von

Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

3 Kommentare

  1. Pingback: Sailing through narrow waters in the Bijagós - Meergeschichten

  2. Ronald, Du schreibst als Profi natürlich besonders eindrücklich und lässt uns so an diesem Abenteuer teilhaben. Toll, einfach toll!

    Gute Heimreise für das letzte Stück zu unseren Inseln. Auf bald und für das neue Jahr mehr als das was man sich üblicherweise zusendet. Auf ein erwartetes, persönliches Treffen.
    Freundschaftlich gegrüsst vom „Sofa“ in Vila Franca

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