Bijagos, Unterwegs-Blog
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Tourismus anstatt Plastik

Fishing boats at the beach of Rubane.

Segeln mit einer Bestimmung: Deshalb bin ich im September 2023 mit Blue Alligator von Santa Maria Richtung Guinea-Bissau aufgebrochen. Unsere Expedition sollte dem Plastikmüll im Archipel auf den Grund zu gehen. Denn davon gibt es dort reichlich. Er schwimmt im braunen Strom zwischen den 88 Inseln und lagert sich an ihren Stränden ab, bildet entlang der Flutlinie einen trostlosen Saum und hängt zwischen den Wurzeln der Mangroven.

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Einige Strandabschnitte, an denen die Lederschildkröten ihre Eier ablegen und die frischgeschlüpften Babyschildkröten ins Meer krabbeln, wollten wir zumindest etwas reinigen. Das war die Absicht. Wir, das waren die acht Boote mit ihren Crews, die sich der Expedition des portugiesischen Unternehmers Miguel Teixeira angeschlossen hatten: zwei holländische, zwei spanische, drei portugiesische Yachten und ich mit Blue Alligator.

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Putzaktion ohne Schildkröten

Am zweiten Tag unseres Aufenthalts in Bolama, der ehemaligen Kolonialhauptstadt, trabten wir tatsächlich zu einer Putzaktion an, allerdings weitab der Schildkrötenstrände. Wir fanden uns auf einem Feld vor dem Gouverneurspalast ein. Der koloniale Prachtbau bietet heute allenfalls den Ziegen und Hunden im Ort Unterschlupf. Aber er vermittelt zumindest etwas von der ehemaligen Opulenz, mit der die Portugiesen in Guinea-Bissau residierten.

Young people working on field in Bolama.

Young people working on field in Bolama.

Als wir am Ort des Geschehens eintrafen, waren Kinder und Jugendliche bereits an der Arbeit. Mit Macheten und Hacken schlugen sie auf Sträucher und Büsche ein und wirbelten eine Menge Staub auf. Wir sollten die freigelegten Flächen vom Plastikmüll säubern. Nur, da war nicht viel.

Ein Vorbild?

Bolama ist ein schmutziger Ort. Plastik liegt in mehreren Schichten auf den sandigen Strassen und in den Gassen zwischen den heruntergekommenen Häusern. Das Unkrautfeld war indes die Ausnahme der Regel. Natürlich kam immer noch genug zusammen, um den einen oder anderen Beutel zu füllen. Aber es hätte ertragreichere Ecken in und um Bolama gegeben.

A young couple participating in the cleaning action in Bolama.

A young couple participating in the cleaning action in Bolama.

Wer auf die Idee gekommen ist, unsere Putzwut gerade dorthin zu lenken, entzieht sich meiner genauen Kenntnis. Ich habe die lokalen Behörden im Verdacht. Wahrscheinlich fanden sie es eine gute Idee, das Roden des Felds mit einer Säuberungsaktion zu verbinden – da wir schon einmal da waren. Vielleicht dachten sie auch, wir würden ein gutes Vorbild für die Schulkinder abgeben, die auf die Pflanzen eindroschen. Zweifellos hinterliessen wir, die wir nach Fetzen und Fetzchen stöberten, einen bleibenden, wenn auch eher einen bizarren Eindruck.

Falsches Timing

Zu den Schildkröteninseln stiessen wir nicht vor. Irgendwie passte das Timing nicht. Es passte nie richtig. Kaum waren wir am Strand gelandet, hatten dort ein paar Säcke mit Kleidern abgeladen – der humanitäre Aspekt unserer Reise –, sollte wir auch schon zur nächsten Insel segeln. Paulo, der Anthropologe, verliess deshalb etwas frustriert Blue Alligator, um mehr Zeit bei der Bevölkerung zu verbringen. Ich konnte ihn verstehen.

Three of the eight boats of the expedition at anchor at the island of Rubane.

Three of the eight boats of the expedition at anchor at the island of Rubane.

Als die Flotte nach Bissau, der heutigen Hauptstadt von Guinea-Bissau segeln sollte, um dort den portugiesischen Botschafter zu treffen und eine Unterwasserdrone an die Verantwortlichen des Naturreservats zu übergeben, scherten vier Schiffe aus: die beiden Holländer, einer der Portugiesen und Blue Alligator. Wir blieben im Archipel, segelten hoch zur Insel Rubane und kamen etwas zur Ruhe.

Zeit für die Dörfer

Wir fanden Zeit, in die Dörfer zu wandern. Wir begegneten Frauen und Mädchen, die Reis stampften, um die Kerne von den Schalen zu trennen. Wir trafen junge Männern, die mit Lianenschlingen die Palmen erklommen, um die Früchte zu ernten. Ziegen- und Schafherden stromerten durch die Wälder rund um die Dörfer. Diese bestehen aus einfachen Lehmhütten. Die Dächer sind aus Stroh. Manchmal hängen an den Balken unter den Veranden Mobiltelefone. Der Strom kommt von kleinen Solarzellen, die am Boden in den Sonne braten.

A boy using a mobile phone in his village.

A boy using a mobile phone in his village.

Ich hätte auch gerne mehr über die Traditionen erfahren, die das Leben der Inselbewohner bestimmen. Dazu gehört beispielsweise, dass sich Männer im Alter von etwa 40 Jahren für eine gewisse Zeit aus der Dorfgemeinschaft zurückziehen. Sie leben abgeschieden unter sich und bereiten sich so auf den nächsten Lebensabschnitt vor. So zumindest erklärte es ein junger Mann, den ich in Bolama getroffen habe. Er hiess Domingos, und als ich ihn fragte, ob er denn selbst ein solches selbstgewähltes Exil auf sich nehmen würde, wiegte er nachdenklich den Kopf. Er wisse es nicht, meinte er, würde es aber auch nicht ausschliessen.

Wie die Schildkröte zu ihrem Panzer kam

Paulo erzählte mir an einem der Abenden, in denen wir im Licht einer Laterne im Cockpit von Blue Alligator sassen, eine schöne Legende von den Bijagós. Sie handelte davon, wie Schildkröten zu ihrem Panzer kamen. Sie geht folgendermassen: Eine Schildkröte geriet eines Tages in eine Zeremonie, mit der Jugendliche zu Erwachsenen werden sollten. Sie bestand darin, dass Männer mit Stöcken auf den Kandidaten einschlugen. Diese Schläge richteten sich nun auch gegen die Schildkröte. Da sie – sie hatte noch keinen Panzer auf dem Rücken –, schutzlos war, schmerzten diese Schläge natürlich. Die jungen Männer, die den Schlägen ausgesetzt waren, trugen jedoch Panzer aus Bambusrohren. Die Schildkröte sah dies und legte sich also selbst einen Panzer zu, um fortan ebenfalls geschützt zu sein.

Oysters from the Bijagos.

Oysters from the Bijagos.

Zeremonien regeln auf den Inseln aber nicht nur die Lebensabschnitte. Sie bestimmen auch den Umgang der Menschen mit der Natur, etwa wann Austern geerntet werden können. Das geschieht nicht willkürlich. Auf ein Jahr Ernte folgt eines ohne. Nachhaltigkeit muss man den Bijagós nicht beibringen. Auch der Umgang der Geschlechter ist wesentlich ausgeglichener als etwa auf dem Festland. Und zur Geschichte der Bijagós gehören starke Königinnen, deren Strategien im Umgang mit den Weissen das Überleben und die Unabhängigkeit während der Kolonialzeit sicherten. «Wir achten unsere Frauen», sagte Domingos, auch wenn es keine Königinnen sind.

Huts in a village on the island of Roxa.

Huts in a village on the island of Roxa.

Getroffen habe ich leider keine. Vielleicht wird mir Paulo, wenn ich zurück auf Santa Maria bin, von seinen Begegnungen berichten. Im Labyrinth der Gassen wurden wir indes von Kindern umschwärmt. Die Erwachsenen, so erklärten sie uns, arbeiteten auf den Feldern. Einige trafen wir trotzdem. Eine junge Frau, ihr Kind an der Hand, fragte nach Kleidung. Sie trug ein erdfarbenes, löchriges T-Shirt und etwas Schwarzes wie einen Rock um die Hüfte gewickelt. Ein Mädchen fragte nach Kugelschreibern. Aber erst, nachdem sie einer von uns, die in ein Ameisennest gestanden war, geholfen hatte, die Biester loszuwerden. Zwei Männer, die an einem Dorfeingang auf Plastikstühlen sassen, wollten Medikamente. „Wogegen“, fragten wir. „Ach, gegen alle möglichen Krankheiten und Schmerzen“, antworteten sie.

Wir trugen weder Kleider, noch Kugelschreiber und schon gar keine Pillen mit uns herum. Unsere caritative Fracht war bereits verteilt: an ein Spital in Boubaque, an zwei Kirchgemeinden in Bolama und an Dorf auf der Insel Roxa.

Adelino Da Costa, der Boxchampion und Tourismusunternehmer, sagte mir, wir hätten besser gar nichts hergebracht. Von den nächsten, die nach uns kommen, würde man nun gleiches oder gar mehr erwarten. Das aber entspreche nicht seiner Vorstellung, wie den Bijagós und den Menschen dort zu helfen sei.

Unsere eigentliche Rolle

Doch sonst war Da Costa ganz zufrieden über unsere Anwesenheit, denn wir würden als eine Art Botschafter die Bijagós als Reise- und vor allem Segeldestination bekannt machen. Darin bestand also unsere Mission. Nicht alle waren wir glücklich über die uns zugedachte Rolle.

Immerhin waren wir so etwas wie Pioniere. Wie es aber wirklich ist, in den Bijagós zu segeln und zurück nach Mindelo zu gelangen, darüber werde ich im nächsten Blogbeitrag schreiben.

Kategorie: Bijagos, Unterwegs-Blog

von

Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

3 Kommentare

  1. Pingback: Tourism instead of plastic - Meergeschichten

  2. Ingrid & Dirk, SV INDIA sagt

    Es ist immer wieder schön zu lesen was und wie Du schreibst. Ausserdem freuen wir uns zu sehen wie Du Deinen „Segelhorizont“ erweiterst wenn Du eine Möglichkeit und einen Grund siehst. Wir sind dieses Jahr daheim in nördlichen Gewässern ( Norwegen, Svalbard, Island und Farörs) geblieben.
    Nächstes Jahr sind mal wieder die Azoren geplant. Vielleicht sieht man sich wieder.
    Bis dahin – Gute Weihnachten und viel Erfolg und Freude an Eurer Mission.

    • Liebe Ingrid, lieber Dirk, herzlichen Dank für den Kommentar. Ich habe mich sehr gefreut. Ich wünsche Euch ebenfalls schöne Festtage – und hoffentlich sehen wir uns tatsächlich wieder auf den Azoren. Rony

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