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Zwischenstopp für Drogenkuriere

Die Felsen von Mosteiros an der Nordwestküste von São Miguel.

«Willkommen im Paradies», begrüsste mich die Beamtin im Stadthaus von Vila do Porto als frisch gebackenen Einwohner der Insel Santa Maria. Das war im November 2020. Sie sprach die Worte ohne Ironie. Ihr rundes Gesicht leuchtete wie das einer Heiligen auf dem Kirchenaltar, als sie die 15 Euro von meiner Kreditkarte für das Bleiberecht abbuchte. Ich gebe zu: Ich habe mich anstecken lassen und strahle zurück. Hätten uns nicht eine Plexiglasscheibe und die Corona-Hygieneregeln getrennt, wer weiss, ich hätte sie vielleicht auf beide Wangen geküsst.

Auf der Route nach Europa

Allein, auch dieses Paradies ist nicht unbefleckt. Das hat mit der Lage der Azoren mitten im Atlantik zu tun. Sie liegen auf der Route, die Yachten von Lateinamerika und der Karibik nach Europa einschlagen. Während die meisten Segler die steilen Vulkankegel der Inseln nach vielen Tagen auf See mit Erleichterung und Vorfreude erblicken, dürfte ihr Anblick bei einigen Nervosität auslösen und den Angstschweiss auf die Stirn treiben, denn sie sind als Drogenkuriere unterwegs.

Land anzulaufen, ist nicht die erste Wahl eines Drogenkuriers. Doch zuweilen ist es unvermeidlich. So im Fall des gebürtigen Sizilianers Antonio Quinci, der sich im Juni 2001 mit seiner 15 Meter langen Yacht der Insel São Miguel näherte, der grössten der neun Azoreninseln. Im Bauch seiner Sun Kiss 47 transportierte er eine halbe Tonne unverschnittenes Kokain, das für den Markt auf den Balearen bestimmt war.

Der damals 44-jährige hatte den Atlantik bereits eineinhalb Mal überquert, zunächst in westlicher Richtung nach Venezuela. Dann zurück Richtung Europa. Doch die Reise hatte die Yacht mitgenommen. Das Ruder war beschädigt. Quinci wagte es nicht, die verbleibenden 800 Seemeilen bis zum portugiesischen Festland zu segeln. Mit einem Boot voller Kokain in die Hauptstadt Ponta Delgada einzulaufen, wo die Sun Fizz repariert werden konnte, wollte er verständlicherweise auch nicht; dort lauerten die Zollbehörden, die die Yacht aus Übersee vielleicht genauer unter die Lupe nehmen würden.

Gefährliches Manöver

Was sich in der Folge auf São Miguel abspielte, ist in mehreren Berichten ausführlich beschrieben worden. Die beste Schilderung stammt meines Erachtens von Matthew Bremner, der für den englischen «Guardian» auf der Insel akribisch recherchiert hat. Er beschreibt, wie Quinci seine Ladung an der zerklüfteten Nordküste der Insel in Grotten versteckte, indem er die ziegelsteingrossen Kokain-Blöcke mit seinem Beiboot ans Ufer transportierte und mit Plastikplanen, Seilen und Ankern zu sichern versuchte.

Es musste eine waghalsige Aktion gewesen sein, zumal auch bei wenig Seegang die rasiermesserscharfen Felsen für ein kleines Gummiboot eine tödliche Gefahr darstellen. Ist es noch dazu mit Übergewicht unterwegs, wird die Aktion zum Vabanquespiel. Die Entschlossenheit, mit der Quinci vorging, zeigt, aus welchem Holz dieser Sizilianer geschnitzt war. Sie zeigt aber auch, wie gross seine Angst war, entdeckt zu werden.

Die Fischer von Rabo de Peixe

Quinci hatte seinen Plan jedoch ohne die Inselbewohner gemacht. Seine Yacht wurde gesichtet. Wenig später wurde auch das Kokain entdeckt. Nicht alle meldeten den Fund der Polizei. Fischer aus dem nahegelegenen Ort Rabo de Peixe bargen etliche Kilo des weissen Stoffs. In der Folge entwickelte sich ein reger Handel mit der Droge. Aber niemand hatte Erfahrung mit reinem Kokain und so verkauften es die ahnungslosen Fischwer weit unter dem Marktwert – ein Bierglas voll für 25 Euro.

Nicht weniger sorglos gingen die Inselbewohner mit dem Stoff um. Manche schütteten es wie Zucker in den Kaffee. Die Frauen benutzten das Puder, um Makrelen damit zu panieren. Doch nicht wenige versetzten sich damit in einen mehrere Tage anhaltenden Drogenrausch. Das Kokain blieb auch nicht in Rabo de Peixe; auf ihren Pickups verbreiteten die frischgebackenen Drogendealer den Stoff über die ganze Insel. Sie benutzen dazu Milchkannen, Büchsen oder Socken. Von einem Tag auf den anderen hatte São Miguel ein Drogenproblem.

Bremner und andere berichten von Leuten, die über ein Kilo Kokain im Laufe eines Monats konsumiert haben sollen. Es reichten aber auch schon eineinhalb Gramm des reinen Stoffes, um Herzrasen auszulösen, wie ein Fischer von seinen ersten Koks-Erfahrungen berichtet. Er lieferte sich damals selbst ins Spital ein und hatte Glück. Andere starben.

Die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung konsumiert Drogen

Rabo de Peixe heisst zu Deutsch so viel wie «Fischschwanz». Noch an keinem anderen Ort auf den Azoren habe ich mich so unwohl gefühlt wie dort. Die engen, labyrinthischen Gassen werden von niedrigen Häuschen gesäumt. Die pastellfarbenen Fassaden sind verblichen. Alles wirkt schmutzig. Auf den Stufen zu den Spelunken sitzen Männer in abgewetzten Kleidern. Aus den Häusern dringen laute Stimmen, als würde überall gestritten. Kinder schreien. Die Blicke, die den Fremden aus Fenstern und Hauseingängen treffen, drücken Misstrauen aus, ja offene Feindseligkeit.

Die Menschen sind gezeichnet, man könnte meinen, von dem über Generationen geführten Kampf ums Überleben auf dem Meer. Aber wahrscheinlich haben vielmehr die Drogen ihre Spuren hinterlassen. Noch heute, über zwei Jahrzehnte nachdem Quinci seine Ladung an Land gebracht hat, konsumiert fast die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung von Rabo de Peixe illegale Drogen.

Gefängnis von Ponta Delgada

Aber nicht alle behielten die gefundenen Kokain-Barren: Im Juni 2001 lieferten beunruhigte Inselbewohner fast täglich Packungen bei der Polizei ab. Und diese kam Quincis bald auf die Spur. Am 20. Juni, kurz bevor die Reparatur am Boot beendet war, schlug sie zu und verfrachtete den Drogenkurier ins Gefängnis von Ponta Delgada. Dieses gleicht einem trutzigen Kastell. Seine weissen Mauern ragen hinter einer mit Stacheldraht bewehrten Umfriedung aus schwarzem Vulkangestein empor. Vom noblen Casino ist es aber nur ein paar hundert Meter entfernt und die Uferpromenade ist eine beliebte Jogging- und Radstrecke.

Flucht aus dem Gefängnis

Am 1. Juli erschien der Sizilianer im Hof des Gefängnisses. Seine Arme und Hände hatte er mit Decken umwickelt. Er bestieg die Mauer und kletterte über sie hinweg. Ein Wachmann schoss in die Luft. Direkt auf Quinci anzulegen, traute er sich nicht aus Angst, Passanten auf der Promenade zu verletzen. Erst am 16. Juli wurde der Flüchtige wieder eingefangen. Eher zufällig fanden ihn die Polizisten bei einer Razzia im Hühnerhof eines Mannes, der ihm gegen Geld Zuflucht gewährt hatte.

«Wir hatten Glück. Die Reparatur wurde bezahlt», berichtet der Inhaber von Sails and Yacht Repairs in Ponta Delgada, der die Arbeiten an der Sun Fizz ausgeführt hatte. Zu verdanken hatte es der Deutsche, der seit über zwanzig Jahren auf São Miguel lebt, der Marine. Sie hat die Schmuggleryacht übernommen, um sie für das Segeltraining zu nutzen. «Die Marine segelt die Boote, solange bis sie nicht mehr zu gebrauchen sind», sagt er. Am Ende würde sie als Wrack an einem Ponton in irgendeinem Hafen verrotten.

Geheimfächer auf Yachten

Eine Sun Fizz 47 habe ich auf meiner Reise von Insel zu Insel zwar nicht gesichtet. Dafür andere aufgegebene Boote, an denen langsam der Zahn der Zeit nagt. Was man von aussen nicht sieht: Zuweilen ist das Interieur verdächtiger Yachten völlig zerstört; auf der Suche nach dem Stoff zerlegen es die Beamten mit Äxten.

Die brutale Vorgehensweise hat ihre Berechtigung. Es ist erstaunlich, wie gut man auf einem Boot mit beschränkten Platzverhältnissen Dinge verstecken kann. Zudem werden viele Yachten extra für den Transport umgebaut. Die Drogenkuriere legen Geheimfächer an, die nur bei sehr genauer Inspektion entdeckt werden. So wie auf der 60-Fuss-Yacht Marcia, die, von der Azoreninsel Terceira kommend, 2018 vor der Küste Cornwalls aufgebracht wurde. Nach langer Suche fand die Küstenwache in einem Versteck 2,1 Tonnen Kokain, fein säuberlich in wasserdichte Säcke verpackt. Die Yacht fuhr unter holländischer Flagge und gehörte dem damals 61-jährigen Maarten Peter Pieterse.

Pieterse und Quinci sind völlig unterschiedliche Typen. Bevor der Holländer zum Schmuggler wurde, hatte er mit Juwelen gehandelt. Das Geschäft ging bachab, eine Scheidung stand ins Haus. Seine Freundin litt an Krebs. Um sie zu unterstützen, so gab sein Verteidiger zu Protokoll, habe er sich auf den Schmuggel eingelassen und sein eigenes Boot dafür verwendet. Quinci wiederum besass bei seiner Verhaftung zwei italienische Pässe, einen spanischen, zudem eine spanische ID, alle auf andere Namen lautend. Sein Boot war von einem Drogenkartell gekauft und ihm zur Verfügung gestellt worden. Gleichzeitig waren noch zwei weitere Yachten für dasselbe Kartell unterwegs; sie wurden später auf dem Festland gestellt.

Die Spitze des Eisbergs

Doch die Schmuggelversuche des Holländers und des Sizilianers sind bei weitem keine Einzelfälle. Im Kampf gegen die Drogenkuriere arbeiten die Fahnder heute international zusammen. Doch die Schmuggler greifen zu immer neuen Tricks, laden ihre Fracht auf hoher See vom einen auf das andere Boot um, um ihre Spuren zu verwischen, setzen zudem Fischerboote ein oder Frachter. Was der Polizei in die Hände fällt, dürfte nur die Spitze eines Eisbergs sein, der so weiss wie reines Kokain ist.

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Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

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  1. Pingback: Der Bettler von Ponta Delgada – Meergeschichten

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