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Segeln am Saum von Ophelias Kleid

Satelitenbild

Ist es eine gute Idee auszulaufen, wenn ein Tropensturm vorbeizieht? Allgemein betrachtet wahrscheinlich nicht. Trotzdem haben wir am Montag, 16. Oktober 2017, den Hafen von Saint Vaast la Hogue auf der Ostseite der Halbinsel Cotentin im Norden Frankreichs verlassen und sind Richtung Cherbourg gelaufen. Am selben Tag traf Ophelia auf die Küste Irlands und richtete ein Chaos an. Die Wettervorhersage für unser Seegebiet aber war moderat: 20 Knoten Wind aus Südwest mit Böen bis zu 30 Knoten, bewegte bis raue See. Nichts, was Blue Alligator nicht aushalten würde.

Von Kap Barfleur bis Cherbourg

Bis Kap Barfleur am Ostende der Halbinsel ging auch alles gut. Doch von dort an ist man gegen Westen hin ungeschützt. Was Ophelia im Atlantik aufgewühlt hatte, rollte nun in Form von steilen, grau-grünen Wellen an, gegen die Blue Alligator anstürmte. Wir erreichten über zehn Knoten über Grund, geschoben vom starken Gezeitenstrom, der allerdings auch das seinige für einen rauen Seegang beitrug. Drei Stunden sollte der Tanz dauern. Immer wieder flog Gischt über die Sprayhood und duschte den Steuermann. Aber das Schiff hielt unter zweifach gerefften Segeln Kurs.

Noch in Saint Vaast hatte mich ein holländischer Segler gefragt, ob man es wagen könne. Ich bejahte zuversichtlich. Nun taten mir seine zwei kleinen Hunde leid, die er an Bord hatte.

Als fände eine Sonnenfinsternis statt

Abgelegt hatten wir unter strahlendem Sonnenschein. Doch kurz vor Cherbourg, kurz bevor wir hinter der grossen äusseren Hafenmauer in Sicherheit waren, verdüsterte sich der Himmel, als wäre eine Sonnenfinsternis im Gang. Doch die Sonne war noch da; feuerrot schimmerte sie durch einen ockerfarbenen Schleier. Kam er nun doch, der Tropensturm? Hatte Ophelia ihre Bahn im letzten Augenblick geändert und nahm Kurs direkt auf uns, direkt auf Cherbourg, direkt auf das kleine Schiff, das seinen Weg in den Hafen suchte? Die Fahrt gegen Wind und Wellen war zwar anstrengend gewesen, aber es gab keinen Grund sich zu fürchten. Doch der Anblick dieses apokalyptischen Himmels weckte eine Angst, die wie ein Schauer in die Glieder fuhr.

Später las ich, dass Saharasand für das Phänomen verantwortlich war. In diesem Augenblick dachte ich, ich hätte das Schicksal doch zu sehr herausgefordert und es würde uns treffen, so kurz vor dem Ziel. Aber der Windmesser kletterte nicht höher als 32 Knoten, ja, es schien sogar abzuflauen.

Hinter der grossen Mauer der äusseren Rade von Cherbourg legten sich die Wellen schlagartig. Ein französisches Kriegsschiff war dort in Deckung gegangen. Der Holländer hatte es auch geschafft. Seine Hunde sah ich später auf dem Ponton auf- und abrennen.

Am nächsten Tag, dem 17. Oktober, war es beinahe windstill. Ich hätte wohl warten und dann unter Motor nach Cherbourg laufen können. Wahrscheinlich hätte ich mich dann aber geärgert, den Wind des Vortags verpasst zu haben. Manchmal ist jede Entscheidung sowohl falsch wie auch richtig. Diesmal waren wir davon gekommen, lediglich der Saum von Ophelias wirbelndem Kleid hatte uns gestreift. Die feuerrote Sonne und das Gefühl bei ihrem Anblick werde ich jedoch nicht so bald vergessen.

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Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

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