Bijagos, Unterwegs-Blog
Kommentare 5

Kentern auf den Selvagens

Die Yacht Blue Alligator vor Anker in der Baia dos Cagarros auf der Insel Selvagen Grande.

Und dann machte es platsch. Das Bananaboot kenterte mit samt seinem Inhalt. Dieser bestand aus mir, meiner nicht wasserdichten Umhängetasche, in der sich Pass, Mobiltelefon und Schiffspapiere befanden, dazu Flipflops und Schöpfkelle. Letztere war nun völlig nutzlos, weil das Bananaboot kielüber längsseits der Bordwand von Blue Alligator im Schwell auf und ab tanzte.

Reed the English version

Ein Bananaboot ist eine tolle Sache, eigentlich. «Unsinkbar, unzerstörbar und tragbar» so der Werbespruch, den die deutschen Hersteller dem Faltboot verpasst haben. Nicht unverdient, wie sich gerade zeigte. Denn das Bananaboot sank nicht. Ob unzerstörbar, weiss ich nicht. Aber die Firma gewährt eine lebenslange Garantie auf das Boot. Und wer tut so etwas, wenn er nicht genau wüsste, dass keine Klagen kommen. Aber das Bananaboot ist eben nicht unkenterbar, wie ich erfahren durfte.

Unsinkbar, aber nicht unkenterbar

Dass das Boot etwas kippelig ist, wusste ich. Ich hatte das Ding, das ziemlich breit ist und einen relativ flachen Boden aufweist, jedoch seit über einem Jahr nicht mehr benutzt und musste mich, wie ich mich daran machte, die Riemen von den Beschlägen zu lösen und an Deck von Blue Alligator zu bugsieren, etwas zu weit zur Seite hinausgelehnt haben. Auf jeden Fall ging es blitzschnell. Die eine Bordwand tauchte unter und schon lagen wir kopfüber. Ich allerdings eher Kopf unter – unter der weissen Plastikschale des Boots mit seinen schicken blauen Schweissnähten oder wie auch immer die Plastikschalen zusammengehalten werden.

Reisen Sie mit
Erhalten Sie die Blogs direkt in Ihre Mailbox.

Ich kam relativ rasch wieder an die Oberfläche und beförderte zunächst die Tasche mit ihrem kostbaren Inhalt an Deck der Yacht. Ich befürchtete Schlimmstes: Aufgeweichtes Papier, ein zerstörtes iPhone, ein nutzloser Pass.

Fast wie im  Film

Natürlich hatte ich keine Badeleiter angebracht. Blue Alligator hat zwar keine besonders hohe Bordwand und sportliche Menschen können sich bestimmt ohne weiteres hochhieven. Nur, ich bin nicht gerade sportlich und meine Klimmzügen sind eher mässig. So schwamm ich zwischen dem umgekippten Bananboot und Blue Alligator wie der Zapfen an einer Angelschnur.
Es gibt einen Film über Yachties, die mitten auf dem Ozean zur Abkülung über Bord springen und dann ertrinken, weil sie wie ich so blöde waren, die Badeleiter zu vergessen. Ich fand den Film etwas langweilig, weil das Ende absehbar war. Steckt man selbst in einer solchen Situation ändern sich die Sichtweisen freilich.

Ich ertrank jedoch nicht, sondern wurde von anderen Seglern aufgefischt, die praktischerweise mit ihrem aufblasbaren Dingi vorbei ruderten (sicher nicht unsinkbar – ist die Luft draussen – und auch nicht unzerstörbar. Aber vielleicht unkenterbar?). Von ihrem Dingi gelangte ich an Bord von Blue Alligator und zu zweit hievten wir das Bananaboot ebenfalls an Deck der Yacht. Meinen beiden Rettern, Duco und Marjolijn von der Blauwe Zwaan, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Aber warum war ich überhaupt in diese missliche Situation gelangt und hatte eine so verletzliche Fracht den Gefahren der Dingi-Fahrt ausgesetzt?

Auf den «Wilden Inseln»

Ich hatte in der Cagarros-Bucht von Selvagem Grande Anker geworfen. Selvagem Grande ist, wie der Name sagt, die grössere von zwei Inseln zwischen Madeira und den Kanaren. Die «Wilden Inseln» gehören zu Portugal, obwohl sie näher bei den Kanaren liegen. Aber die Spanier hatten sie damals, als die Welt zwischen den beiden aufstrebenden iberischen Grossmächten aufgeteilt worden war, nicht haben wollen. Die Selvagens blieben portugiesisch und sind seit 1971 ein Naturschutzgebiet.

Der Schutz gilt in erster Linie den über 44‘000 Cagarros-Pärchen, die auf der Insel ihren Nachwuchs zur Welt bringen. Cagarros sind elegante Seevögel etwa in der Grösse einer Seemöwe, jedoch mit bräunlichem Gefieder auf Rücken und Flügeln (auf Englisch heissen sie Cory‘s Shearwater oder Corys Sturmtaucher auf Deutsch). Sie verbringen praktisch ihr ganzes Leben auf See. Aber Eier kann man nicht auf Wasser legen. Deshalb sind sie auf felsige Küsten mit genügend Bruthöhlen angewiesen. Das gibt es auf den Selvagens, und in fast jedem Loch der Insel, die aussieht wie ein riesiger, schmutziger Schwamm und nur spärlich von ein paar Kräuter- und Staudenarten bewachsen ist, hockt Ende September ein Küken in seinem schwarz-gräulichen Jugendkleid.

Ein Cagarro-Küken in seiner Steinhöhle.

Ein Cagarro-Küken in seiner Steinhöhle.

Gefiederte Delikatesse

Bis die Selvagens zum Schutzgebiet erklärt wurden, ging es den armen kleinen Vögeln ziemlich dreckig. Sie wurden von Fischern zu tausenden aus den Höhlen gezerrt und umgebracht. Noch vor Ort wurde ihr Fleisch eingepökelt, denn es galt (und gilt zum Beispiel auf den Azoren immer noch) als äusserst schmackhaft. Fast wären die Cagarros ausgerottet worden.

Heute legt zum Glück niemand mehr Hand an die gefiederten Gurgeln, und die Vögel nehmen es gelassen hin, wenn neugierige Besucher ihre Handykameras vor die Bruthöhlen halten.
Bewacht werden sie von drei Parkwächtern, einem Biologen und zwei Polizisten der Polícia Marítima – wobei die Polizisten nicht wegen der Vögel auf der Insel sind, sondern weil die Spanier die Selvagens heute doch gerne hätten. Nicht wegen der Inseln, versteht sich, sondern wegen des Meeres um sie herum und den Bodenschätzen, die dort im Grund lagern sollen. Aber die Portugiesen denken nicht daran, die Inseln abzugeben. Deshalb langweilen sich jeweils zwei Polizisten 21 Tage lang, bis sie abgelöst werden.

Abwechslung für Polizisten

Zum Glück gibt es deshalb die Segler, die zu Besuch kommen und die sich natürlich registrieren müssen. Aus diesem Grund war ich mit allen Dokumenten an Land gerudert und hatte meine Schuldigkeit gegenüber den Behörden erbracht.

Die Gebäude der Parkwächter in der Baia dos Cagarros auf Selvagem Grande.

Die Gebäude der Parkwächter in der Baia dos Cagarros auf Selvagem Grande.

Später sollten die Polizisten mir und den anderen Yachten auch noch einen Besuch abstatten. Die Gunst der Stunde nutzend – wann kann man schon fünf Yachten auf einmal kontrollieren –, erkundigten sie sich, ob wir die in Portugal zu entrichtende Leuchtturmsteuer bezahlt hätten (habe ich). Bei der Gelegenheit wollten sie auch die Feuerlöscher an Bord prüfen, weshalb ich zwei von drei aus ihrer Halterung reissen und in die Hände meiner Besucher übergeben musste. «Zeit, sie zu ersetzen», meinte der eine Polizist, ein glatzköpfiger Mann mit Doppelkinn.

Im Gegensatz zu den Parkwächtern kommt er nur einmal im Jahr auf die Selvagens. Sonst sitzt er in einem Büro in Funchal und prüft Dokumente, weshalb er nicht annähernd die athletische Figur der Parkwächter ausweist. Er muss sich in diesem Augenblick aber gefühlt haben, wie der Sheriff in einem gottverlassenen Ort im Wilden Westen, als endlich mal Schurken angeritten kommen.

Aber wir waren ja keine Schurken, sondern allesamt ordentlich ausgestattete Segler. Okay, die Seenotrettungsraketen waren im August abgelaufen. Aber es war ja auch erst September.

Ich ruderte noch insgesamt drei Mal zwischen Blue Alligator und der glitschigen Rampe des Anlegers in der Bucht hin und her, ohne erneut ins Wasser zu fallen. Routine zahlt sich aus.
Der Grund für einen der Besuche bestand darin, mit den Parkwächtern, den Polizisten, dem Biologen und den Crews der anderen Yachten gemeinsam zu tafeln. Einer der Segler, Miguel Toscano von der Ouf (die Yacht heisst tatsächlich so: Ouf) hatte ein Restaurant auf Faial geführt und kochte für uns alle eine traditionelle Feijoada. Nach dem herzhaften Bohneneintopf hat man für 24 Stunden keinen Hunger mehr, dafür ein paar Blähungen.

Abschied von den Selvagens

So verbrachte ich einen wunderbaren Abend in guter Gesellschaft mit Blick auf die Bucht, wo unsere Boote vor Anker lagen. Die Sonne ging in einem Spektakel aus Rot- und Blautönen unter und als sich die Dunkelheit übers Wasser legte, hörten wir die Schreie der zurückkehrenden Cagarros. Sie klingen ziemlich ausgefallen, etwa wie Mickey Mouse auf Helium. Die Küken würden nun bald ihren Fisch bekommen – die, deren Eltern es geschafft haben – und wir kehrten satt und nicht allzu sehr betrunken auf die Yachten zurück.

Yachten bei Sonnenuntergang in der Baia dos Cagarros auf der Insel Selvagem Grande.

Sonnenuntergang auf den Selvagens.

Am folgenden Tag lichteten wir die Anker und nahmen Kurs auf Santa Cruz de Teneriffa. Ich schreibe diese Zeilen in einer völlig anderen Welt. Hinter mir eine Grossstadt mit ihrer Betriebsamkeit und ihrem Lärm. Ich liege in einem überfüllten Hafen. In der Nacht leuchten über mir anstatt Sterne grelle Strassenlaternen. Und natürlich fliegen keine Cagarros durch die Luft.

Wenn ich kann, werde ich zu den Selvagens zurückkehren. Ihre Abgeschiedenheit, der Friede dort und die Vögel haben etwas in meiner Seele hinterlassen wie der Abdruck eines Stempels.
Apropos: Die Schiffsdokumente, der Pass und sogar das Mobiltelefon haben das Bad im Atlantik unbeschadet überstanden. Aber ich werde mir eine wasserdichte Tüte besorgen. Versprochen.

Kategorie: Bijagos, Unterwegs-Blog

von

Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

5 Kommentare

  1. Pingback: Capsizing on the Selvagens - Meergeschichten

  2. Thomas SV Carmina sagt

    Ja, mein Lieber, eine Bordleiter ist für mich einfach notwendig. Am Bändsel ziehen und schon fällt sie aus der Tasche. Genügend lange, damit man in Kleidern auch den untersten Tritt fassen kann. Ich denke, sowas wirst Du inskünftig ständig an Deck führen. Wünsche allerdings nicht, dass sie wirklich gebraucht wird. Alles Gute weiterhin…

  3. Pingback: Zu den Kapverden – oder die Erweiterung des Horizonts – Meergeschichten

  4. Galina Piyanova sagt

    Hallo, Rony. An der Stelle musste ich so herzlich lachen…
    „Er muss sich in diesem Augenblick aber gefühlt haben, wie der Sheriff in einem gottverlassenen Ort im Wilden Westen, als endlich mal Schurken angeritten kommen.“
    Und ein paar andere Passagen sind mir sehr nahe gekommen. Es macht viel Spaß deine Abenteuer zu verfolgen. Danke dir dafür.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.