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„Expedition“ zu den Ilhas Selvagens

Woran scheitern Expeditionen? Wahrscheinlich immer an einer Verknüpfung von fatalen Umständen. Da kommt eins zum andern und am Ende steht der wackere Forscher vor dem Desaster. Diesen Frühling habe ich die Geschichte des Schiffes «Erebus» von Michael Palin gelesen. Es hatte Franklin auf seiner Expedition von 1845 in die Arktis als Flaggschiff gedient. Lange Zeit blieben sie und ihr Begleitschiff, die «Terror», verschollen und von der Expedition ist bekanntlich niemand zurückgekehrt. Die Gründe dafür sind noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Schlechte Konserven, ungünstiges Wetter, Hybris, alles zusammen. Zeit ist aber auf jeden Fall ein entscheidender Faktor, und zu zögern, kann genauso gefährlich sein, wie übereilt zu handeln.

Der Rest eines Kolonialreichs

Auch wir sprachen von einer Expedition. Vielleicht sagen wir aber lieber Erkundungstour dazu, denn die Reise sollte weder in vergleichbar abgelegene Regionen wie die Arktis führen, noch in auch nur annähernd so feindselige. Wir, Steffen von Wahoo-Diving auf Santa Maria, eine Meeresbiologin und ich, wollten von Santa Maria aus über Madeira zu den Ilhas Selvagens. Diese Inselchen, zwei grössere und eine Reihe von meerumtosten Felsen, markieren das südlichste Territorium Portugals. Sie sind sozusagen der klägliche Rest des einstigen weltumspannenden Kolonialreichs.

Die Inseln liegen näher bei den Kanaren als bei Madeira, weshalb die Spanier ein Auge auf sie geworfen haben, wegen der Fischereigründe. Aber die Portugiesen wollen sie sich nicht nehmen lassen und unterhalten dafür eine ständige Besatzung von ein paar Mann auf den kargen Eilanden. Es sind Polizisten und Parkwächter, denn die Inseln sind über und unter Wasser Naturschutzgebiet. Anlaufen darf man sie nur mit Bewilligung. Die bekommt man allerdings ziemlich leicht. In der Regel darf man aber bloss 24 Stunden dort verbringen. Wir hatten eine Zeitspanne von fünf Tagen erwirkt, weil wir ja eben auf einer Expedition begriffen waren.

Meine Begleiterin und mein Begleiter wollten herausfinden, ob sich die Inseln für schonungsvolle Tauchsafaris eignen. Sozusagen das ultimative Erlebnis für Leute, die schon überall waren und alles gesehen haben, mit einem Spritzer Abenteuer und fachlicher Begleitung.

Wir packten deshalb Blue Alligator bis an den Rand voll mit Tauchflaschen und machten uns am 22. Mai auf den Weg. Zunächst einmal der Taucher und ich. Die Meeresbiologin sollten wir auf Madeira an Bord nehmen. Der Zeitplan war eng und strikt.

Corona an Bord

Die Fahrt nach Madeira war ruppig und am zweiten Tag fiel mein Begleiter vollständig aus. Fieber und Kopfschmerzen warfen ihn in die Koje. Ich hätte gewarnt sein sollen. Aber wer denkt schon an das Schlimmste?

Wir erreichten Madeira nach vier Tagen und bekamen sogar einen Liegeplatz in der notorisch überfüllten Marina von Funchal. Die Meeresbiologin landete pünktlich am Abend des 27. Mai und am 28. Mai sollte es weitergehen. Allerdings fühlte ich mich am Abend vor der Weiterfahrt nicht besonders. Und kaum waren wir auf See, brach bei mir Fieber aus und eine bleierne Müdigkeit lähmte mich. Die Symptome waren eindeutig: Ich hatte Corona.

Leider war meine Crew nicht besonders segelerprobt und so oblag die Schiffsführung weiterhin mir. Zum Glück liefen wir mit Westwind auf einem ziemlich bequemen Kurs und auch der Seegang hielt sich in Grenzen. Blue Alligator steuerte sich fast von selbst und ich durfte in meiner Koje schwitzen.

Ausnahmebewilligung sei Dank

Wir erreichten die nördliche der Ilhas Selvagens nach 30 Stunden und gingen in der östlichen Bucht, der Ensenada das Pedreiras, vor Anker. Diese ist zwar offiziell für Yachten gesperrt. Aber wir hatten vorsorglich bei der Polícia Marítima in Funchal eine Ausnahmebewilligung eingeholt. Wind und Welle verboten uns, die offizielle Ankerbucht im Süden anzulaufen.

Selvagem Grande sieht aus wie ein riesiger, poröser Schwamm. Ein vulkanischer Brocken mitten in einem tiefblauen Meer. Leider bot unsere Ankerbucht keine Möglichkeit zum Anlanden. Ich hätte allerdings sowieso nicht an Land gedurft: Corona eben.

Selvagem Grande soll ein Vogelparadies sein. Davon haben wir immerhin ein wenig mitbekommen. Tausende von Cagarros kreiste nachts in der Bucht und wir hörten ihre charakteristischen Schreie, wenn sie von See zurückkehren und ihre Partner rufen. Ist man allerdings kein Seevogel, hat die Insel wohl nicht viel zu bieten. Sie ist kahl und trocken. Eigentlich ein eher trostloser Anblick von unserem Ankerplatz aus.

Unter Wasser soll das anders sein. Meine Begleitung ging schon am ersten Abend ins Wasser. Zunächst tauchten sie in der Bucht. Am nächsten Tag beförderte ich sie mit Blue Alligator zu einem Unterwasserfelsen, wo sich der Seegang einigermassen im Rahmen hielt. Die Zahl und Vielfalt der Fische seien beeindruckend, erzählten sie nach ihrem Tauchgang. Darüber hinaus seien die Tiere aussergewöhnlich zutraulich, bis auf ein paar Moränen, die zubissen.

Der Wind hat andere Pläne

Wie erwähnt, wollten wir fünf Tage auf den Inseln bleiben. Aber das Wetter hält sich nicht an Pläne. Bevor der Wind definitiv auf Nord drehte, mussten wir am 30. Mai den Rückweg antreten. Die Taucher wären gerne geblieben. Und dann wahrscheinlich mit dem Kopf durch die Wand bzw. gegen Wind und Wellen angefahren.

Das wollte ich mir, ihnen und dem Boot nicht antun. Die Rückfahrt war so schon heftig genug. Mit zeitweise weit über 20 Knoten Wind aus West bis West-Nord-West segelten wir zurück nach Madeira. Die Wellen erreichten mitunter drei Meter. Entsprechend passiv verhielt sich die Crew.

Wiederum hatten wir Glück und konnten in Funchal einlaufen und nach erneut 30 Stunden hatte der Spuk ein Ende. Ausser einer Führungsleine der Windsteueranlage hatten wir keine Schäden zu beklagen.

Nie wieder starre Zeitpläne

Ist unsere Expedition gescheitert? Ich denke, wir waren immerhin dort und sind heil zurückgekommen. Das finde ich schon mal nicht schlecht. Ich wusste es zwar vorher schon, aber manchmal muss man eine Lektion mehrmals verpasst bekommen: Nach einem festgelegten Zeitplan zu segeln, ist das Dümmste, was man tun kann. Und selbst wenn man flexibel bleibt, muss man auf dem Nordatlantik immer mit Überraschungen rechnen. Die nächste Expedition, die ich unternehme, werde ich unabhängig von Flug- und anderen Terminplänen angehen und auf jeden Fall viel, viel Zeit einrechnen.

Für die Rückfahrt nach Santa Maria bin ich allein. Ich segle am 7. Juni mit zunächst nordöstlichem Wind. Ich hoffe, diesmal läuft es einigermassen ruhig. Der letzte Corona-Schnelltest war leider immer noch positiv. Nun ja, auf See kann ich niemanden anstecken und nach weiteren vier Tagen ist die Krankheit hoffentlich ausgestanden.

Kategorie: Unterwegs-Blog

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Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

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