Bijagos, Unterwegs-Blog
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Flüchtlinge und Segler – ihre Wege kreuzen sich auf den Kanaren

Ein Flüchtlingsschiff im Hafen von El Hierro. Im Hintergrund die Yachten.

In Santa Cruz de Teneriffe fragte ich in einem Geschäft für Schiffsbedarf nach einer Gastlandflagge von Gambia. Der Ladenbesitzer sah mich lächelnd an und sagte, so etwas führten sie nicht. Da wolle ja niemand hin. Ich stammelte etwas von zukünftigen Segeldestinationen in Afrika. Aber der Mann schüttelte nur den Kopf.
«Die kommen zu uns. Nicht umgekehrt.»

Die Piroge im Hafen von El Hierro

Jetzt liege ich im Hafen von El Hierro, der kleinsten und südwestlichsten der Kanareninseln, und an der Kaimauer gegenüber ist ein schmales, längliches Holzboot vertäut. Es ist bunt bemalt und besitzt einen steilaufragenden Bug. Es ist eine Piroge, ein Fischerboot, wie es in Westafrika typisch ist.

Die Aussenbordmotoren des Flüchtlingsschiffes.

Die Aussenbordmotoren des Flüchtlingsschiffes.

Seit September landen auf El Hierro immer wieder Flüchtlingsboote. Allein während des Wochenendes vom 14. und 15. Oktober hätte die Küstenwache über 1000 Flüchtlingen in 19 Booten gerettet. Und das ist auf die ganzen Kanaren gesehen noch wenig. Die Flüchtlinge seien von verschiedenen Küstenabschnitten Westafrikas gestartet, hiess es in den Medien.

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Die Wettersituation für eine Überfahrt von Afrika zu den Kanaren ist seit Monaten günstig. Der Passat weht schwach bis gar nicht. Uns hindert das aufzubrechen. Die Pirogen und Schlauchboote der Flüchtlinge können das ungewöhnliche Wetterfenster nutzen.

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Aber wie muss sich eine solche Überfahrt anfühlen? Das Innere des offenen Bootes, das im Hafen von El Hierro liegt, ist übersäht mit Kleidungsstücken, Handtaschen, Schuhen, Sandalen. Die Sachen liegen teilweise verdeckt unter blauen Plastikplanen, unter denen die Reisenden wahrscheinlich Schutz vor Sonne und Gischt gesucht haben. Mehrere blaue Wasserkanister liegen leer zwischen den Sitzbänken. Im hinteren Teil des Bootes, wohl ebenfalls leer, wurden gelbe Benzinkanister für die beiden Aussenbordmotoren zurückgelassen. Der eine Motor ist im Heck installiert. Der andere steht als Reserve festgezurrt daneben.

Ohne Schutz übers Meer

Es sind verstörende Zeugnisse einer tagelangen Strapaze. Selbst bei ruhigen Bedingungen muss die Fahrt übers offene Meer ohne anständigen Schutz, ohne einigermassen bequeme Plätze zum Ausruhen und ohne auch nur die geringste Privatsphäre, um seinen Bedürfnissen nachzukommen, die Hölle gewesen sein. An Bord der Boote waren zweifellos auch Frauen – davon zeugen die Handtaschen – und Kinder. Wahrscheinlich befanden sich unter den Reisenden auch Schwangere und Babys. Wie wurden sie versorgt? Wer hat ihnen geholfen, wenn sie seekrank wurden – und einige dürften garantiert unter Seekrankheit gelitten haben.

Wir Segler reisen vergleichsweise bequem. Ich verbringe oft Stunden ausgestreckt in meiner Koje, lesend, dösend. Ich höre den Geräuschen des Meeres und des Riggs zu und habe in der Regel nichts zu fürchten. Die Wasservorräte sind ausreichend, ebenso der Proviant. Einmal am Tag wenigstens koche ich etwas Warmes.

Für die Flüchtlinge auf den Pirogen wird es nichts Warmes gegeben haben, vom ersten bis zum letzten Tag ihrer wohl fünf bis sieben tägigen Reise. Es gab Wasser. Und was noch? Was sie wahrscheinlich an Proviant für sich selbst eingepackt hatten. Viel kann es nicht gewesen sein. Auf Videos des spanischen Fernsehens sind Menschen zu sehen, die von Männern der Küstenwache gestützt werden müssen, damit sie die Leitern der Kaimauern hochklettern können. Auf einer Betonschwelle lassen sie sich erschöpft nieder. Kinder müssen getragen werden.

Nicht willkommen

Willkommen sind sie nicht. In Santa Cruz habe ich mit einem Mann diskutiert, der über die Migranten geschimpft hat. Die üblichen Tiraden, die üblichen Argumente.

Ich weiss nicht, ob unter den Flüchtlingen auch Menschen aus Guinea-Bissau sind. Wahrscheinlich schon, denn das Land ist nicht gerade bekannt dafür, die Träume und Hoffnungen seiner Einwohner zu erfüllen. Vielleicht ist es auf den Bijagós anders, dem Archipel vor der Küste, dem unsere Reise gilt. Dort sollen Königinnen gerecht regieren und traditionelle Lebensweisen gepflegt werden. Aber aus einem offensichtlichen Grund sind unsere Boote mit Lebensmitteln, Kleidern und Medizinalprodukten vollgestopft.

Auf humanitärer Mission

Wir sagen uns, auf einer humanitären Mission zu sein. Aber welches Bild werden wir den Menschen dort vermitteln, wenn wir mit unseren Yachten aufkreuzen? Ich denke, die Art wie sich unsere Reisen übers Meer unterscheiden und die Gründe, weshalb wir uns aufmachen, wir die Segler auf der einen, die Flüchtlinge auf der anderen Seite, sprechen Bände.

Natürlich: Wer wirklich gemütlich reisen möchte, wählt bestimmt kein Segelboot zu seinem Transportmittel. Und wer, wie ich, alleine segelt, wird auch mit der einen oder anderen Herausforderung konfrontiert. Schlafmangel gehört dazu und das Problem, zu wenig Hände zu haben, um bestimmte Aufgaben optimal auszuführen. Aber das ist kein Vergleich mit einer Fahrt auf einem überfüllten Holzboot, Schulter an Schulter eingezwängt auf einer Bank oder den Bodenbrettern, unter denen das Bilgenwasser hin und her schwappt, in dem Erbrochenes und anderes schwimmt. Dabei das ständige Kreischen eines Aussenborders im Ohr, der das Boot gegen Wind und Welle vorantreibt.

Eine rote Skijacke aus Livorno liegt zwischen den Sachen im Flüchtlingsschiff.

Eine rote Skijacke aus Livorno liegt zwischen den Sachen im Flüchtlingsschiff.

In der Piroge auf El Hierro habe ich eine Skijacke mit der Aufschrift «Racing Team Livigno» entdeckt. Ich hoffe, die Kleider, die wir nach Guinea-Bissau bringen, kommen nicht auf diesem Weg zurück.

Kategorie: Bijagos, Unterwegs-Blog

von

Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

2 Kommentare

  1. Pingback: Refugees and sailors – paths cross on the Canary Islands - Meergeschichten

  2. Thomas SV Carmina sagt

    Ronald, sehr einfühlsam und nachdenklich verfasst. Ja, furchtbar wenn man bedenkt was alleine für Rüstung pro Jahr ausgegeben wird. Was können wir als Individuen tun? – Genau das was Du gerade tust. Wahrnehmen, daüber berichten, selbst, im Kleinen, aktiv werden. Vorausgesetzt; ich bin Agnostiker: Aber der 10th wie die Bibel erwähnt ist eine Möglichkeit für uns Wohlbehüteten. Und aufstehen gegen die Ungerechtigkeit. Warum braucht die Schweiz für ein paar Milliarden neue Kampfflugzeuge?? Dagegen protestieren, seine Meinung äussern ist auch ein Mittel. Ob es nützt? Das ist nicht die Frage! Tun ist wichtiger.

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