Atlantiküberquerung, Unterwegs-Blog
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Atlantiküberquerung West-Ost oder der Weg nach Hause

Blue Alligator on the Atlantic.

Das Meer ist wie flüssiges Glas. Nichts kräuselt die Oberfläche. Wir schwimmen auf einem tiefblauen Ozean in völliger Windstille. Die Segel sind geborgen, damit sie nicht in der Dünung hin und her schlagen. Tagsüber lassen wir uns treiben. Nach Sonnenuntergang starten wir den Motor, damit die Batterien nicht versagen, wenn die Solarpanele sie nicht mehr speisen.

In the doldrums

In the doldrums

Es ist Samstag der 18. Mai 2024. Wir befinden uns ziemlich genau in der Mitte zwischen den Bermudas und den Azoren. Es ist der 14. Tag auf See, seit wir Jolly Harbour auf Antigua verlassen haben.

Solosegler-Routine zu zweit

Wir, das sind immer noch meine deutsch-indonesische Begleiterin Davi und ich. Wir sind nun schon seit Februar zusammen, seit wir Mindelo auf den Kapverden verlassen haben, und inzwischen sind wir ein eingespieltes Team. Die wenigen Manöver – Segel setzen, bergen oder reffen oder die Genua ausbaumen  – klappen tadellos.

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Auf ein Wachsystem verzichten wir. Ich halte meine Solosegler-Routine aufrecht und schlafe während der Nacht selten länger als zwei Stunden am Stück. Zum Glück ist Davi eine Frühaufsteherin. Spätestens ab fünf Uhr kann ich mich für längere Zeit hinlegen – ausser es kreuzt ein Frachter unseren Kurs, der Wind frischt auf oder die Batterien sind so tief entladen, dass der Motor gestartet werden muss.

Solosegler-Routine bedeutet, regelmässig aufstehen, rasch einen Blick auf den Plotter werfen und den Kopf aus dem Niedergang stecken. Nicht selten steige aber auch ganz ins Cockpit und schaue in den Sternenhimmel hinauf. Die Nächte sind mild und oft klar. Der Anblick des Himmels ist  – wie immer auf See – atemberaubend. Ich kann nicht genug davon bekommen. Wie auch von den Sonnenuntergängen. Keiner ist wie der andere und das Farbenspektakel ist berauschend. Abend für Abend ein Schauspiel ganz für uns allein. So kommt es uns vor. Wir fühlen uns auf unserem kleinen Boot in diesem riesigen Ozean irgendwie geborgen.

Sunset

Sunset

Die Sorgen und Bedenken, die mich noch im Hafen umgetrieben haben, sind wie weggeblasen. Das Boot scheint mit jeder Situation fertig zu werden. Und, noch wichtiger, es läuft auch bei rauer See ruhig und wie auf Schienen. Ich segle Blue Alligator bereits über 20 Jahre. Aber auf dieser Atlantikreise lerne ich sie noch einmal von einer anderen Seite kennen, als zuverlässige Yacht mit den vorzüglichsten Hochseeeigenschaften.

In Jolly Harbour, als ich die Kugellager in der Steuersäule austauschen musste, fragte mich der Mechaniker, ob ich das Schiff verkaufen wolle, wenn ich wieder in Europa wäre. Nie im Leben. Wir werden uns hoffentlich noch lange treu bleiben.

Ärger mit den Batterien

Doch natürlich verläuft nicht alles reibungslos. Die Batterien machten schon in der Karibik Ärger. Sie vermögen die Spannung nicht mehr über längere Zeit zu halten, selbst wenn keine Verbraucher angeschlossen sind. Das flexible Solarpanel, das ich in Martinique gekauft und mit Velcro-Streifen fein säuberlich auf dem Bimini fixiert habe, hat kurz nach Antigua seinen Geist aufgegeben.

Können wir segeln, ist das nicht schlimm. Dann lädt der Hydrogenerator die Batterien. Er ist zuverlässig, aber laut. Doch solange er brummt, ist unsere Welt in Ordnung. Verstummt er, hat Seegras den Propeller blockiert. Das passiert regelmässig, denn das Sargasso-Gras schwimmt in riesigen Teppichen auf der Oberfläche und es ist unmöglich, ihnen auszuweichen. Nicht selten müssen wir das Schiff zweimal am Tag aufstoppen, den Generator aus dem Wasser heben und das Gras, das zäh wie Bindfäden ist, vom Propeller zerren.

Reichen die Dieselreserven?

Bei Flaute läuft der Generator natürlich nicht. Deshalb beschliessen wir, nachtsüber den Motor laufen zu lassen. Immerhin machen wir so auch etwas Fahrt. 24 Stunden zu motoren, wage ich nicht. Ich weiss nicht, ob die Dieselreserven ausreichen. Der Tank fasst 95 Liter. An Deck sind sechs 20-Liter-Kanister festgezurrt. In einer Backskiste ruht die eiserne Reserve: ein 10-Liter-Kanister. Das muss reichen.

Aber unsere Durststrecke dauert nur drei Tage. Plötzlich ist der Wind wieder da. Immer wieder erwarte ich, dass er zunächst zögerlich bläst und dann an Stärke gewinnt. Aber es geht ganz schnell. Als hätte jemand eine Lüftungsklappe geöffnet und den Wind eingelassen. Es bläst 10 Knoten und unsere Welt ist wieder eine andere. Die Segel sind gesetzt und das Schiff rauscht durch die See.

Ein grosses Tief zieht im Norden vorbei. Es ist wie im Lehrbuch: Zunächst Südwest-, dann West-, schliesslich Nordwest-Wind. Dazu Regen. Aber nichts Schlimmes. Keine Squalls, wie sie uns wenige Tage nach Antigua heimgesucht haben.

Squalls

Wir waren erst zwei Tage auf See, da rollten schwarze Wolkenwände heran. Schlagartig nahm der Wind zu, und als uns die Squall verschluckten, regnete es, wie ich es noch nie erlebt habe. «Es hagelt», sagte ich zu meiner Begleiterin. Aber es war bloss Regen. Die Tropfen waren jedoch traubendick und als ich am Steuer stand, musste ich das Gesicht abwenden, weil sie mir wie Geschosse ins Gesicht klatschten. In solcher Heftigkeit fiel der Regen, dass er die Wellen platt drückten, so dass wir bei fast 30 Knoten Wind beinahe ruhige See erlebten.

A squall is coming.

A squall is coming.

Das Ganze dauerte vielleicht eine halbe Stunde. Dann war der Zauber vorbei. Der Wind nahm schlagartig ab, dreht leicht, und wir segelten wieder über ein Meer mit Schaumkronen. In der Nacht zogen Gewitter vorbei, manchmal so nah, dass auf Blitz unmittelbar Donner folgte. Es gibt wenig, wovor ich mich auf See richtig fürchte. Aber Gewitter gehören auf jeden Fall dazu.

Ich sehe die Blitze ins Meer einschlagen und weiss: Es ist purer Zufall, ob sie Blue Alligator treffen oder nicht. Wenn ein Gewitter aufzieht, ist der Segler machtlos dem Schicksal ausgeliefert. Aber wir hatten Glück, sie kamen nie über uns und wir sorgten uns umsonst.

Es wird kühler

Je näher wir den Azoren kommen, desto kühler wird der Atlantik. Von fast 30 Grad in der Karibik beträgt die Temperatur bald nur mehr etwas mehr als 20 Grad. Dafür wird der Ozean wieder lebendiger. Delphine kreuzen unseren Kurs, spielen eine Weile in der Bugwelle, bis sie das Interesse verlieren. An einem Tag sehe ich vielleicht zwei- oder dreihundert Meter entfernt eine mächtige Rückenfinne und einen schwarzen Rücken. Ein Orca!

Hier sind sie ungefährlich, sind nicht versucht, mit dem Boot zu spielen und das Ruder anzuknabbern wie entlang der Küsten Spniens und Portugals, und das Tier lässt uns links liegen.

Während der Tage in der Flaute sitzen wir im Cockpit und plaudern, als keine fünf Meter neben uns ein grosser Wal vorbeizieht. Ich vermute, es ist ein Seiwal. Sein grau gesprenkelter Rücken und seine kleine Finne verraten ihn. Seiwale können bis zu 16 Meter lang und bis zu 30 Tonnen schwer werden. Blue Alligator mit ihren acht Tonnen ist ein Leichtgewicht dagegen.

Unsere Herzen schlagen höher bei diesen Begegnungen. Endlich wieder mehr als nur fliegende Fische. Ganz leer ist das Meer doch noch nicht, obgleich wir auch in den karibischen Gewässern chinesischen Trawlern begegnet sind, Hochseefischer auf der Jagd nach den letzten Schwärmen.

Das dritte Crewmitglied

Nun, da der Wind zurück ist, machen wir wieder gute Fahrt. Ich bin erstaunt, wie schnell Blue Alligator ist. Sechs, sogar sieben Knoten sind keine Seltenheit, obgleich zumeist mindestens ein Reff in die Segel eingebunden ist. Der Windpilot steuert mit der Zuverlässigkeit eines Uhrwerks. Ich wage mir gar nicht auszudenken, was ich ohne ihn machen würde.

Der Raymarine-Radpilot wäre nicht in der Lage, das Schiff bei etwas stärkerem Ruderdruck über längere Zeit hinweg zu steuern. Drei Antriebsriemen haben wir schon auf der Hinfahrt verbraucht und einer ist kurz nach Antigua gerissen. Dieses System kostet eine Menge und taugt allenfalls für Motorfahrt auf kurze Distanz. Es ist ein Spielzeug, mit dem sich der Hersteller eine goldene Nase verdient.

Der Windpilot, dieses mechanische Wunderwerk aus Aluminium, braucht nur eines, um seine Arbeit zu verrichten: ein gut ausbalanciertes Boot. Damit kann ich dienen und werde mit sorglosen Stunden in der Koje belohnt. Er ist unser drittes Crewmitglied, das nicht essen oder schlafen muss.

Ich habe in der Karbik nur wenige Boote mit einer Windsteueranlage gesehen. Dafür habe ich viele Geschichten von elektronischen Autopiloten gehört, die ihren Geist aufgegeben haben, was die Crews zu unendlichen Stunden am Steuer verdammt hat. Gut, wer eine starke Mannschaft hat. Aber mir sind auch Einhandsegler begegnet, die wegen des Ausfalls ihrer Steuerhilfe, bis zur Erschöpfung an der Pinne oder am Rad ausharren mussten. Angekommen, rannten sie sofort zum Chandler und kauften sich teure Ersatzteile oder gar einen neuen elektrischen Piloten zum Preis einer Windsteueranlage, die garantiert länger halten würde.

Und der Windpilot saugt natürlich auch nicht an unseren schwachen Batterien. Dafür bin ich ebenfalls dankbar und preise ihn als nützlichstes Gerät an Bord.

Praktische Helferlein

Kurz dahinter erhebe ich Snatch-Blöcke zu Dingen, die für mich auf die Liste der unverzichtbaren Ausrüstungsgegenstände für eine solche Passage gehören. Snatch-Blöcke sind Rollen, die sich öffnen lassen, so dass man eine Leine einfädeln kann, ohne sie zuvor zu lösen. Als wir die Genua ausbaumten, scheuerte das Schot an der Reling. Eine Talje vom Mastbaum mit einem Snatch-Block brachte Abhilfe.

Boomed out genua and a tackle with a snatch block.

Boomed out genua and a tackle with a snatch block.

Während auf der Hinfahrt in die Karibik der U-Bolzen der vorderen Unterwant gebrochen ist und uns einen echten Schrecken verpasst hatte, bleiben wir auf der Rückfahrt von schlimmeren Schäden verschont. Scheuerstellen an Leinen und ein kleiner Riss im Segel, weil im ersten Reff zu viel Zug auf einem der unteren Mastrutscher lag, sind die einzigen Probleme.

Ich korrigiere die Einstellungen des Reffs, damit das Segel nicht noch mehr ausreisst und repariere den Riss provisorisch mit Patches, mit denen ich mich ausreichend eingedeckt habe. Auf den Azoren werde ich die Stelle mit einem Stück Dacron flicken.

Pico in Sicht

Und lange wird die Reise nicht mehr dauern.

Am 24. Mai – der Tag hat trübe begonnen mit Regenschauern und Windböen – kreuzt ein Fischer aus Peniche unseren Kurs. Ein Portugiese zur Abwechslung.

Pico in a distance

Pico in a distance

Es sind noch 247 Meilen bis Horta. Am nächsten Tag reicht der Wind kaum mehr zum Segeln und wir riskieren, den Motor anzuwerfen. Meine Berechnungen sagen, dass der Diesel reichen wird. Aber ich könnte mich auch irren und ohne Reserve in Horta anzukommen, wäre unangenehm. Doch am Morgen darauf erkennen wir schon Pico, den riesigen Vulkankegel, den höchsten Berg Portugals, den Fujiama der Azoren, im Dunst. Unsere Herzen schlagen höher.

Je näher wir den Azoren kommen, desto mehr AIS-Signale tauchen auf dem Kartenplotter auf. Es ist ein Stelldichein der Atlantikfahrer. Mindestens sieben Boote sind vor uns. Eines folgt in unserem Kielwasser.

Mickey Mouse auf Helium

Wir erreichen Horta nach Sonnenuntergang. Immer wieder scheuchen wir Seevögel auf, Cagarros, die vor unserem Bug schwimmen. Mit lautem Protest fliegen sie auf. Ihre typischen Schreie sind die erste Begrüssung zuhause. Sie klingen wie Mickey Mouse auf Helium.

Auf der Reede von Horta liegen die Schiffe dicht an dicht bis zum Ende der Hafenmole. Es ist nicht einfach, noch ein Plätzchen zu finden. Wir lassen den Anker zwischen einem Katamaran und einer anderen Yacht fallen, viel zu nah für meinen Geschmack. Aber der Anker hält und wir liegen ruhig bis zum nächsten Morgen.

Wir sind angekommen, nach 22 Tagen auf See. Es ist der 26. Mai 2024.

Die Reise ist fast zu Ende. In Horta geht Davi von Bord und ich breche vier Tage später Richtung Santa Maria auf. Mit Südwind geht es nach Südosten. Riesige Wolken türmen sich auf. Regen und Gewitter sind angesagt. Immer wieder sehe ich dunkle Wolkenbänder vorbeiziehen, die graue Regenvorhängen mit sich schleppen. Ich habe Glück und bleibe weitgehend trocken.

Pico after leaving Horta

Pico after leaving Horta

Ankunft

Als am Nachmittag des 31. Mai endlich Santa Maria in Sicht kommt, fühle ich mich erleichtert und auch unendlich müde. Kurz nach 20 Uhr laufe ich in den Hafen ein. Mein Platz ist frei. Ein Freund hilft mir, die Leinen festzumachen und lädt mich zum Essen ein.

Ich schwanke, falle beinahe ins Wasser, wie ich über die Reling steige. Nach ein paar Gläsern Wein schlafe ich tief und traumlos. Blue Alligator zerrt etwas an ihren Leinen. Aber ich glaube, sie ist ebenfalls glücklich, wieder hier zu sein. Wie lange waren unterwegs? Neun Monaten. Hinter uns liegen wohl etwa 7000 Seemeilen – zweimal über den Atlantik und zuvor ein Abstecher nach Guinea-Bissau – und unendlich viele Eindrücke.

Ein paar Schrammen haben wir auch davongetragen, mein Boot und ich. Aber das gehört wohl dazu und ist ein geringer Preis für die Erfahrung des Atlantiks, wo man die Zeit vergisst, wo man sich manchmal ganz klein und allein fühlt und dann wieder unendlich glücklich, weil alles Beschwerliche von einem abfällt.

Ich bin aufgesogen worden von diesen Stunden, Tagen und Wochen auf einem grenzenlosen Meer, und im Echo dieser Unendlichkeit, so kam es mir, hörte ich eine Antwort auf die Frage, worum es im Leben wohl gehen könnte. Vielleicht muss ich noch einmal genauer hinhören. Aber nicht gleich.

Kategorie: Atlantiküberquerung, Unterwegs-Blog

von

Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

5 Kommentare

  1. Thomas SV Carmina sagt

    Wunderbar geschrieben und eindrücklich. Ja, das ist es was uns immer wieder auf dieses Abenteuer einzulassen auffordert.

  2. Pascal Scherrer sagt

    Fantastisch. Eindrücklich. Bildhaft. Als Leser fühlt man sich mit an Bord.

  3. Ingrid & Dirk SV INDIA sagt

    Hallo Ronald,
    gratuliere zur Tour und zu neuen Erfahrungen und Einsichten. Auch wir sind seit Juli zurück auf den Azoren. Ein harter, direkter Schlag vor der Südostküste Irlands nach Terceira. Wenn Du Lust und, oder Zeit hast würden wir Dich gerne wiedersehen und mehr von Deiner Reise hören. Wir planen noch gut 2 Monate zwischen den Inseln zu reisen und September oder Oktober nach Sta. Maria zu kommen.
    Melde Dich und wir können evt. das Weitere absprechen. Als nächstes steht Sao Miguel, dann Flores und Faial (mit Freunden) auf der Wunschliste.
    Ingrid & Dirk
    SV INDIA

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