Website-Icon Meergeschichten

Instinktiv richtig

Blue Alligator verlässt Plymouth.

Blue Alligator verlässt Plymouth.

Es dauert zwar noch über zwei Monate, bis ich zu meiner Segelreise aufbreche, aber seit ich den Entschluss gefasst habe, mir sechs Monate Zeit auf dem Meer zu gönnen, kreisen meine Gedanken um nichts anderes mehr. Ich habe mich in den ersten Wochen zunächst eingehend mit technischen Details beschäftigt, habe mich gefragt, ob meine Ausrüstung den Anforderungen gewachsen sein wird. Damit lässt sich trefflich Zeit verbringen, denn wenn man sich mit Batteriespannung, Windpilot oder AIS beschäftigt, braucht man sich nicht mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen. Doch ich habe mir auch stundenlang Filme von Seglern angeschaut, die von ihren Abenteuern berichten, und habe mir dabei immer vorgestellt, wie ich mit den Situationen zurechtkommen würde, denen sie begegneten. Und da liegt der Hund begraben.

Ich glaube, mein Boot, „Blue Alligator“, ist besser ausgerüstet als manche Yacht, die schon übers Meer geschippert ist. Seetüchtig ist sie, ja. Yachten wie „Blue Alligator“ sind ganz einfach fürs Meer gebaut, gebaut, genau für die Aufgabe, die ich ihr und mir zumuten werde. Mit Menschen ist das anders. Die sind nicht dafür gebaut, tagelang auf einem schwankenden Deck zu leben und möglichst nicht zu schlafen. Wenn es also eine Schwachstelle auf der Reise gibt, dann bin ich das.

Wenn es also eine Schwachstelle auf der Reise gibt, dann bin ich das.

Die Angst, mit der ich es zu tun habe, ist eine dunkle Unruhe und im Grunde mir nicht unbekannt. Ich spürte sie bereits, bevor wir 2013 über die Biskaya gesegelt sind. Sie befiel mich oft auch, bevor ich allein in See stach und Passagen vor mir lagen, wie beispielsweise das Alderney Race, jenes Wildwassergebiet zwischen der nördlichsten Kanalinsel Alderney und dem Cap de la Hague. Dort rauscht der Gezeitenstrom mit Höchstgeschwindigkeit durch und türmt die Wellen zu einer Achterbahn auf. Ich habe in diesem Tumult aus Wasserbergen und Abgründen auch schon Stossgebete abgesetzt – to whom it may conern.

Meistens allerdings verschwindet die Angst aber, sobald ich die Leinen losgeworfen habe und die ersten Meilen im Kielwasser liegen. Mit Schicksalsergebenheit hat das kaum zu tun. An Land oder im Hafen hat man einfach genug Zeit, sich die Dinge auszumalen und Bedenken ins Kraut schiessen zu lassen. Er werde auf See zum Tier, sagte mir einmal Bernard Stamm, der Schweizer Extremsegler mit notorischem Pech. Das würde ich von mir zwar nicht behaupten wollen, allein schon deshalb, weil ich mich nicht mit einem Stamm vergleichen will, der ganz anderes wagt als ich. Aber die Erfahrung, in bestimmten Situationen instinktiv zu handeln – instinktiv richtig – und daraus Vertrauen zu schöpfen, kennt wahrscheinlich jeder Segler.

Trotzdem ist es schon ganz gut, wenn man vor allem auch dem Schiff vertrauen kann, das einen trägt. „She will look after you“, antwortete ein alter englischer Segler einst, als ich ihn nach seiner Meinung zu Yachten vom Typ „Victoria 34“ befragte. Das hat sie bis jetzt getan. Wahrscheinlich besser, als ich auf sie aufgepasst habe.

Die mobile Version verlassen