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Segeln ist auch eine Suche nach den eigenen Grenzen

Die Yacht Good Report läuft in Vila do Porto ein.

Die Yacht Good Report läuft in Vila do Porto ein. (Bild Katrin Piazza)

Wir waren erneut auf Terceira. Diesmal aber war einiges anders. Zum einen war Katrin mit an Bord; wir sind gemeinsam von Santa Maria zur nördlichen Insel des Azorenarchipels hochgesegelt. 30 Stunden waren wir unterwegs. Der Wind passte, der Seegang war ziemlich unangenehm. Er wirkte auf das Gemüt und den Magen meiner Mitseglerin ganz einfach niederschmetternd. Das Einlaufen in die geschützte Bucht von Praia da Vitoria kam einer Erlösung gleich.
Allerdings war ihr Leiden vergleichsweise gering, verglichen mit demjenigen von ein paar Seglern, die kurz nach uns der Reihe nach in Praia eintrafen. Sie waren etwas über zwei Wochen vorher in Plymouth gestartet und nonstop zu den Azoren gesegelt. Die meiste Zeit bliesen ihnen widrige Winde ins Gesicht und sie waren von einer ungezügelten See umher geworfen worden. Eine Yacht musste von einer anderen abgeschleppt werden, weil ihr Ruder ausgefallen war. «Minke» war der Name des beschädigten Schiffes. Passenderweise hiess das Boot des Retters «Good Report». Beide Yachten massen um die 10 Meter in der Länge. Beide wurden sie nur von ihren Skippern gesegelt.

Jester Challenge 2021

Die Segler waren Teilnehmer der Jester Challenge 2021. Das bedeutet, dass sie alle solo unterwegs waren und auf Booten, die verglichen mit dem, was heute im Schnitt als Hochsee-Yacht durchgeht, winzig klein sind. Die Jester Challenge, die alle drei Jahre zu den Azoren führt, ist jedoch kein Rennen. Es geht um Seemannschaft, nicht um Rekorde. Trotzdem gaben die Segler alles, um ihre Boote voranzutreiben.
Zu den Teilnehmern gehörte auch ein Freund, der auf Guernsey lebt und der ein ähnliches Boot segelt wie Blue Alligator. Auch seinetwegen sind wir nach Terceira gefahren; um Zeit mit ihm zu verbringen.

«Jetzt verkaufe ich mein Boot»

Als er mir die Festmacherleine am Ponton von Praia da Vitória nach über 1600 Seemeilen und 15 Tagen auf See übergab, stand ihm die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Seine ersten Worte waren: «Jetzt verkaufe ich das Boot.» Nach ein paar Stunden Schlaf widerrief er diese Absicht zwar, aber zurücksegeln sollte «Pippin», seine Yacht, ein anderer. Mein Freund wollte den Flieger nehmen.


Ich habe trotzdem grössten Respekt vor ihm und vor allen anderen Teilnehmern der Challenge. Es gibt Segler, die länger unterwegs sind, noch härtere Bedingungen überstehen müssen. Aber ich bin der Meinung, dass jeder Respekt verdient, der auf einem Segelboot eine längere, zumindest mehrere Tage dauernde Seereise auf dem offenen Meer antritt. Warum man so etwas tut, ist nicht immer leicht zu erklären. Mein Freund meinte, er sei froh, sagen zu können, er sei auf die Azoren gesegelt. Gleichzeitig wisse er nun auch, dass er auf dieser Fahrt seine eigene Grenze ausgelotet habe.
Andere Teilnehmer sind schon nach wenigen Tagen wieder aufgebrochen, um den Rückweg anzutreten. Ihre Grenzen scheinen woanders zu liegen. Und den Skipper von «Good Report» haben wir wiedergetroffen, nachdem wir beide die rund 140 Seemeilen von Terceira nach Santa Maria zurückgesegelt sind. Er macht sich vor allem Sorgen, ob seine Yacht wirklich für den Nordatlantik gerüstet sei und arbeitet ständig an Verbesserungen, obgleich das Schiff seine Seetauglichkeit mehr als genug unter Beweis gestellt hat. Er verspürt wohl einfach noch immer Lust auf mehr.

Wo liegen wohl meine Grenzen?

Ich selbst habe noch keine Ahnung, wo meine Grenzen liegen. Wenn ich mit «Blue Alligator» aus einem Hafen zu einem längeren Törn auslaufe, ist da immer dieses Gefühl in der Magengegend, eine Art ängstlicher Unruhe, die aber schon nach wenigen Meilen verfliegt. Und wenn nach einer durchgesegelten Nacht der Morgen dämmert, fühle ich mich leicht und glücklich. Aber ich weiss nicht, ob ich die Jester Challenge durchgehalten hätte oder ob ich nicht eher auf halber Höhe nach Spanien oder Portugal abgedreht hätte. Eine Ausrede findet sich immer.
In ein paar Tagen wird «Good Report» wieder Richtung Norden aufbrechen, zunächst nach Ponta Delgada, dann Richtung England. Ich wünsche dem Segler und seinem Schiffchen eine gute und sichere Reise, auf dass er noch lange nach seinen Grenzen suchen möge.

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