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Roscoff voraus und Blitze an Backbord

Casquets westlich von Alderney. Das Ende der Welt könnte so aussehen.

Mitternacht ist vorbei. Der Wind hat zugelegt. Die See ist unruhig geworden. Wolken bedecken den Himmel und verbergen den Vollmond und die Sterne. Im Westen und Norden ziehen schwarze Bänder hoch. Sie verheissen nichts Gutes. Und plötzlich schlagen Blitze aus ihnen aufs Wasser. Gewitterzellen, wie am Nachmittag des Vortags von der französischen Wettervorhersage prophezeit. Ich lasse sie nicht aus den Augen, auch wenn es für uns gut aussieht. Sie werden wohl vorbeiziehen. Das Boot schiesst mit über acht Knoten durch die Nacht. Der Strom hilft mit. Nur vorwärts! Weg von den Blitzen!

Keine Pause in der Koje

Im Süden sind schon die Lichter der Küste zu sehen. Les sept îles, die Nordbretagne. Ich bleibe nun an Deck. Wir sind zu nah unter Land, als dass ich es mir erlauben könnte, nochmals in die Koje zu kriechen. Der Windpilot steuert. Sollte der Wind drehen, wenn ich friedlich in der Koje liege, wird das Boot mitdrehen. Und unversehens krachen wir auf die Felsen. Also, Augen auf.

Es tauchen auch immer wieder Schiffe auf. Das hier ist nicht der weite Ozean. Das hier ist Küstensegeln. Hier muss man aufpassen. Auf der Biskaya letztes Jahr waren wir allein. Dort durfte ich mir Schlafintervalle von einer halben Stunde erlaubt. Jetzt machen wir eben durch.

Seit Samstag 9 Uhr sind wir unterwegs. Jetzt ist Sonntag. Als wir in Cherbourg abgelegt haben, war die See ruhig. Der Wind kaum spürbar. Wir liefen unter Motor, bis wir Casquets passierten.

Fast ein wenig wie das Ende der Welt

Casquets ist eine kleine Inselgruppe westlich von Alderney. Sie könnte auch am Ende der Welt liegen. Wenn man Einsamkeit malen müsste, gäbe die Insel ein gutes Sujet ab. Die einzigen Gebäude sind ein Leuchtturm und das Haus der Leuchtturmwärter-Familie. Es gibt die Geschichte von der Tochter des Leuchtturmwärters und seiner Frau, die eines Tages nach Alderney ziehen sollte, die nördlichste der Kanalinseln. Auf Alderney wohnen zwar ein paar Nasen mehr als auf Casquets. Aber es geht noch immer sehr, sehr gemächlich zu und her. Der Tochter waren es trotzdem zu viele Menschen. Sie bekam, wie man heute so schön sagt, Dichtestress und kehrte auf die Abgeschiedenheit von Casquets zurück.

Nach Casquets hielten wir Kurs auf Roscoff. Das heisst, wir versuchten es. Der Wind hatte zwar etwas zugelegt. Doch mit dem Strom aus Norden und dem Wind aus Nord-Westen liefen wir zu sehr nach Süden. Was nun: Segeln oder Motoren? Lieber Segeln und auf den Strom hoffen. Es besserte tatsächlich, als wir Guernsey passierten und der Strom nun nach Westen schob. Das ist das Schöne hier. Was uns zuerst behinderte, wendet sich schliesslich zu unseren Gunsten. Dafür zogen von Westen die Wolken auf.

Der Wind scheint jetzt aus den Gewitterwolken zu blasen. Er kommt böig und frischt bis zu 18 Knoten auf. Kein Problem für Blue Alligator. Ich binde dennoch ein Reff ins Gross. Die Genua ist ohnehin nicht ganz ausgerollt. So läuft das Boot besser am Wind.

Blitze an backbord

Wieder Blitze, aber diesmal direkt an Backbord, ganz nah an der Küste. Auch sie werden uns nicht treffen, zum Glück. Wir sind vorbei. Voraus wird es wieder heller. Alles wird gut.

Es ist nun nicht mehr weit nach Roscoff. Anstatt der geschätzten 25 Stunden werden wir es in 21 schaffen. Und wie bestellt, bricht nun die Wolkendecke auf und der Vollmond zaubert einen silbernen Streifen auf die See voraus. Es ist gespenstisch schön. Ich sehe die Umrisse der Felsen, die vor der Küste von Roscoff liegen. Von der Île de Batz weist uns der Leuchttrum den Weg.

Es ist auch gut, wieder auf See zu sein, so lange unterwegs zu sein, auch wenn nun langsam die Müdigkeit auf die Augen drückt.

Von den Abenteuern eines Weltumseglers wie Bernhard Moitessier sind wir zwar noch weit, weit entfernt. Aber der Zauber des Segelns umfängt uns schon auf dieser kurzen Strecke. Wer weiss, welche Ozeane noch vor uns liegen.

Roscoff, 11. Juli 2017

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