Website-Icon Meergeschichten

Manchmal gibt es eben Hindernisse

Blick auf Vila do Porto

Ich bin nun schon länger als drei Monate auf den Azoren. Deshalb wurde es Zeit, dass ich meinen Status legalisierte. Ich würde sozusagen einen Zweitwohnsitz auf Blue Alligator beziehen. Wie schwierig oder einfach das sein würde, darüber habe ich sehr Unterschiedliches gehört. Die einen meinten, die Anmeldung sei reine Formsache und überhaupt nicht kompliziert, andere berichteten von unerfreulichen Fragen der Zollbehörde, die das grosse Geld witterten und die Mehrwertsteuer für das Boot nachfordern wollten. Das trug sich allerdings auf einer anderen Insel der Azoren zu, auf Terceira. Hier, auf Santa Maria, sollte das kein Problem sein, versicherten mir andere Jachtbesitzer.

Auf in die Stadt

So ziehe ich also an einem Freitag los, Pass und Schiffsdokumentes im Gepäck. Zunächst führt mein Weg über einen gewundenen, mit groben Steinen gepflasterten Pfad vom Hafen hoch zur Festung, die die Bucht bewacht. Gut 200 Höhenmeter muss ich erklimmen. Anschliessend geht es weiter die schmale Hauptstrasse entlang, an der weiss getünchten Kirche vorbei bis in Stadtzentrum. Dieses besteht aus zwei Supermärkten, einem China-Laden, zwei Bars, einem Restaurant und eben dem Stadthaus. Es ist in einem ehemaligen Franziskanerkloster untergebracht, was man ihm von aussen jedoch kaum ansieht.

Die Pforte der Camara Municipal wird, wohl aus Corona-Schutzgründen, von einer älteren Dame bewacht. Ein Mütterchen mit rundem Gesicht und kräftigen Armen. Sie ist bestimmt die richtige für diese Aufgabe. Leider versteht sie nur Portugiesisch und ist wahrscheinlich auch nicht gewohnt, dass Ausländer ihr ein Anliegen zu erklären versuchen. Immerhin: Das internationale Handzeichen «Du-hier-warten» beherrscht sie perfekt. Durch die Scheiben des Eingangsportals sehe ich, wie sie auf einen Mann einredet, der im Foyer an einem Tischchen sitzt und ziemlich gelangweilt wirkt. Seine schwarzen, gelierten Haare weisen schon ein paar graue Strähnen auf. Das Gesicht sieht etwas zerknittert aus. Um den Hals trägt er eine dicke Kette mit einem Kreuz.

Der Übersetzer

Mit der Gelassenheit eines Revolverhelden erhebt er sich von seinem Sitz und bewegt sich Richtung Eingang. Er spricht Englisch mit amerikanischem Akzent, ein rückgewanderter Auswanderer, der in Washington gelebt hat, wie ich später erfahre. Mein Wunsch weckt sein Interesse nur mässig. Die Langeweile bleibt ihm im Gesicht stehen. Aber er winkt mich herein, befielt mir, meine Hände zu desinfizieren und führt mich zu einem Schalter.

Dahinter liegt ein Raum, in dem drei Beamtinnen vor Computern und sich stapelnden Papierbergen sitzen. Eine von ihnen, die jüngste, wird vom Vorzimmerhelden herangerufen. Auch sie scheint nicht übermässig erpicht zu sein, sich mit mir auseinanderzusetzen. Das ist eigentlich verwunderlich, bringt doch jemand wie ich ein wenig Abwechslung in ihre Inselroutine. Aber vielleicht führt zu viel Routine auch zu einer Art dumpfer Interesselosigkeit, die sich letztlich der Person bemächtigt. Englisch spricht sie leider auch nicht, weshalb das Knautschgesicht übersetzen muss.

Doch tatsächlich scheint mein Anliegen nicht kompliziert zu sein. Sie nimmt meinen Pass entgegen, setzt sich wieder hinter ihren Computer und beginnt auf der Tastatur herumzutippen.

Die drei Engel

«Das hier sind die drei Engel», erklärt mir mein Begleiter und zeigt mit dem Kinn auf die drei Frauen. «Wenn du etwas brauchst, musst du nur sie fragen. Sie erledigen alles im Nu. Wir sind hier sehr kundenorientiert, weisst du? Keine grosse Bürokratie.» Ich höre mir die Rede an und bin zuversichtlich. So eine kleine Insel hat doch ihr Gutes, denke ich. Mein Optimismus wird allerdings mit der Frage nach einer Steuernummer etwa gedämpft. Ich krame in meinen Dokumenten nach einer solchen und finde die in der Schweiz übliche AHV-Nummer. Die Beamtin, die sich hinter der Scheibe wieder zu uns gesellt hat, schüttelt den Kopf. Es stellt sich heraus, dass ich eine portugiesische Nummer brauche. «Kein Problem», übersetzt der Rückwanderer. «Komm einfach am Montag wieder her, bring ein Dokument mit deiner Heimadresse mit und geh zum Finanzamt.» Das ist alles? «Ja, das ist alles. Manchmal gibt es halt Hindernisse», tröstet mich der Mann und seine Augen drücken so etwas wie Bedauern aus, wobei er mich an einen Mafiaboss erinnert, der sich anschickt, sein hilfloses Opfer zu erschiessen.

Während des Wochenendes suche ich alles zusammen, was meine Existenz in der Schweiz belegt und wandere am Montag wieder bergwärts. Am Eingang die Matrone, hinter dem Tisch Knautschgesicht. «Hände desinfizieren! Folge mir», sagt mein Cicerone und führt mich ins Innere des ehemaligen Klosters. Wir betreten einen Kreuzgang. Es ist kühl und ruhig.

Das Finanzamt ist ein länglicher Raum mit hohen Fenstern und grauen Mauern. Vielleicht das ehemalige Refektorium, denke ich, oder auch nur eine Vorratskammer. Es wird von drei Personen besetzt, die an ihren Tischen hinter Schutzscheiben sitzen: Zwei Männer und eine Frau. Sie, die Chefin, sitzt ganz hinten. Ich werde an einen Tisch in der Mitte zitiert. Bevor sich der Beamte meiner annimmt, tippt er noch eine Weile gelassen auf seinem Handy herum. Schliesslich darf ich vortragen: Ich brauche eine Steuernummer.

Noch nicht ganz da

Kein Problem meint der Mann, verlangt das Dokument mit meinem Wohnsitznachweis und meinen Pass. Von beidem macht er Kopien und beginnt dann, nachdem er nochmals das Handy konsultiert hat, auf seinem Computer zu tippen. Plötzlich hält er inne, fragt etwas seine Chefin, hämmert nochmals auf die Tastatur ein, fragt wieder. «Wir haben ein Problem», sagt er schliesslich zu mir gewandt.

Hinter dieser Tür sollte ich meine Steuernummer bekommen.

Als Schweizer braucht man eine Referenz, eine Person, die bereits auf der Insel registriert ist, damit man eine Steuernummer bekommt. «Kennen Sie jemanden, Mr. Ronald?» Meine Einwände, dass die Schweiz doch ein Schengen-Staat sei und wir inzwischen im internationalen Datenaustausch fleissig mitmachen würden, helfen nicht. «Sie kennen doch sicher jemanden. Oder?», insistiert der Beamte.

Ja, ich kenne jemanden. Einen deutschen Bootsnachbarn, der schon längere Zeit auf der Insel lebt. Dass ich diesen zuerst fragen muss, versteht der Beamte natürlich und nickt geduldig. Am besten solle ich vor Mittag mit ihm zurückkommen. Es dauere nur einen Moment, lässt er mich wissen und bedeutet mir, jetzt zu gehen.

Ich eile zurück zum Hafen und hoffe, meinen Freund anzutreffen. Ich habe Glück und er ist sogar bereit, mir zu helfen. Glücklicherweise hat er ein Auto, so dass wir es tatsächlich vor der Mittagspause schaffen. Dass wir nun zu zweit vor dem Stadthaus auftauchen, versetzt die Pförtnerin etwas in Aufregung und Knautschgesicht in Misstrauen. Immerhin, es ist rasch geklärt, worum es geht. Und tatsächlich bekomme ich meine Steuernummer, nachdem mein Bootsnachbar seine hinterlegt hat.

Fast am Ziel

Am Schalter im Empfangsraum reiche ich der Beamtin mein neu erworbenes Dokument. Diesmal gibt ihr Computer nach und stellt meine Registrierung fertig. Mit einer Rechnung werde ich auf die andere Seite des Raums geschickt, wo sich die Kasse befindet. Ich zahle einen lächerlich geringen Betrag. «Willkommen im Paradies», begrüsst mich die Kassenfrau und schiebt meine Kreditkarte in den Bezahlterminal. «Danke», sage ich, «ich freue mich sehr.»

Das ist nicht gelogen, bin ich doch nun legal hier und vor allfällig unerfreulichen Besuchen der Guarda National Republicana geschützt. Am ersten Schalter liegt bereits die Urkunde, die mich als Resident von Santa Maria ausweist. Alles ist gut, denke ich. Packe meine Sachen und verlasse das Stadthaus, nicht ohne auch meinem Übersetzer überschwänglich zu danken.

Der Tippfehler

Leider ist nicht alles gut. Tippfehler sind ein Übel, besonders auf offiziellen Dokumenten. Und wenn der Name falsch geschrieben wird, kann das schlimme Folgen haben. Roland ist eben nicht Ronald, und ich kehre um, um das Stadthaus ein weiteres Mal zu besuchen. Die Verwirrung am Eingang ist nun vollkommen. Aber es hilft nichts. Nachdem ich ein weiteres Mal meine Hände desinfiziert habe, darf ich wieder an den Schalter treten.

Die Beamtin schaut nun ziemlich betreten. Sie schnappt sich mein Dokument, meinen Pass und setzt sich wieder an den Computer. Als sie ihre Tischnachbarin etwas fragt, weiss ich schon: Manchmal gibt es Hindernisse. Dieses Mal besteht es darin, dass ein amtliches Dokument nicht einfach so geändert werden kann. Das muss sie in Lissabon beantragen.

Ich werde vertröstet auf Morgen oder Übermorgen. «Wir schicken eine Mail», lässt die Beamtin übersetzen. Inzwischen bin ich die Gelassenheit in Person und nicke einfach.

Die Mail ist zwei Tage später tatsächlich in meiner Mailbox, und wieder steige ich hoch in die Stadt, um die Camara Municipal aufzusuchen. Man hat mich wohl schon erwartet, denn ich werde ohne weiteres vorgelassen – zunächst natürlich zum Desinfektionsspender. Hinter dem Schalter wartet schon die Beamtin mit meinen neuen Dokumenten. Wunderbar, denke ich. Das war’s dann.

Lissabon will mitreden

«Jetzt brauchen wir nur noch die alten», übersetzt Knautschgesicht. Die habe ich aber leider nicht hier. «Wir brauchen sie aber, weil wir sie nach Lissabon schicken müssen.» Ja, wenn Lissabon ruft, kann ich mich nicht verweigern. Ich würde also nochmals vorbeikommen. Da wir jedoch inzwischen fast schon alte Freunde sind, die Matrone am Eingang, der Mafiakiller, die Beamtin und ich, macht es mir natürlich nichts aus. Manchmal gibt es eben Hindernisse.

Die mobile Version verlassen