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Der Real Club Nautico de Vigo – ein zweites Wohnzimmer

Nicht zu übersehen, wenn man von See her kommt: das Gebäude des Real Club Nautico von Vigo.

Nicht zu übersehen, wenn man von See her kommt: das Gebäude des Real Club Nautico von Vigo.

Es gibt solche und solche Yachtclubs: die geselligen, in denen man sich sogleich aufgenommen fühlt, und die hochnäsigen, in denen man als Normalsterblicher schon gar nicht eingelassen wird. Und es gibt den Real Club Nautico von Vigo. Dieser betreibt die Marina im Stadtzentrum, die man idealerweise aufsucht, wenn man nicht kilometerlange Fussmärsche unternehmen will, um von seinem Liegeplatz in die Stadt zu gelangen.

Sozusagen im Stadtzentrum

Von der Marina des Yachtclubs sind es nur wenige Meter in die pittoreske Altstadt mit ihren zahlreichen Bars und Restaurants. Und wären da nicht die Kreuzfahrtschiffe, die täglich gleich nebenan festmachen und ihren Lärm und ihre Abgase über den Hafen ausbreiten, alles wäre perfekt. Aber auch annähernd perfekt ist okay. Und das erfüllt der Real Club Nautico durchaus.

Der Club-Palast

Das eigentlich besondere ist das Clubhaus, zu dem man als Gast uneingeschränkten Zugang geniesst, und das Publikum. Aber was heisst hier Haus? Das Gebäude des Clubs ist schon eher ein Palast, in nüchtern modernistischer Architektur zwar, doch mit stattlicher Grösse. Natürlich steht das Gebäude ebenfalls direkt am Hafen und man könnte es schon fast als ein Wahrzeichen von Vigo bezeichnen, unübersehbar auf jeden Fall, wenn man der See herkommt. Vom Saal im ersten Stock aus überblickt man wiederum aus dem Halbrund der Fensterfront die Ría von Vigo.

Entspannter, als man glauben würde

Dieser Saal mit einer von Säulen getragenen wuchtigen Stuckdecke, dunklem Parkett, dunklen Tischen und ausladenden Sofas könnte einen durchaus einschüchtern, und mit Baujahr 1945 stammt er ja auch aus einer Zeit, in der die spanischen Autoritäten auf Einschüchterung setzten und Klassenbewusstsein hochgehalten wurde.

Anders aber als beispielsweise im Real Club Nautico von A Coruña herrscht in Vigo kein Dresscode und entsprechend entspannt ist die Atmosphäre. Zur morgendlichen Routine gehört es, dass die Yachties in Schlappen und kurzen Hosen mit ihren Labtops unterm Arm eintreffen, um Mails und das Wetter zu checken. Dann sind auch schon die ersten Damen zum Frühstückscafé da und plaudern laut genug, dass man am anderen Ende des Saals die Beschwerden über Kinder und Ehemann mithören kann.

Der Yachtclub scheint auch ein beliebter Ort für studierende Mitglieder zu sein, die hier ihre Seminararbeiten schreiben. Das dürfte wohl auf die einigermassen stabile und flächendeckende Internetverbindung zurückzuführen sein, und weil man hier wirklich uneingeschränkt seine Dokumente ausbreiten kann. Auf jeden Fall herrscht hier kein Kampf um einen bequemen Arbeitsplatz und der Kaffee ist auch einigermassen günstig. Dazu gibt’s am Vormittag auch immer ein Stück Kuchen.

Inzwischen kennt man sich auch, grüsst höflich. Das englische Seglerehepaar oder die junge Frau mit den blonden Haaren, eine Erscheinung wie aus einem Almodovar-Film, Adlernase auf Highheels. „Ciao“, sagt sie wie zu einem alten Bekannten und lächelt, wie sie an meinem Tisch vorbeigeht und den Saal verlässt.

Ladies an den Kartentischen

Lebendiger wird es am späten Nachmittag. Dann füllen Familien den grossen Saal und die angrenzenden Räume. Die Kleineren pendeln oft zwischen dem Hallenbad gleich nebenan und dem Clubgebäude hin und her, tollen auf den beiden Terrassen links und rechts des Saals herum oder daddeln auf ihren Smartphones rum und wälzen sich auf den Sofas.
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Das eigentliche Sozialleben spielt sich indes an den kleinen quadratischen Tischen im stadtwärts gelgenen Saal ab, der noch einmal die Grösse des Speisesaals hat. Am Dienstagabend ist er jeweils bis auf den letzten Platz gefüllt, von Damen im reiferen Alter, die lautstark und verbissen Karten spielen. Ich habe auf jeden Fall noch keinen Yachtclub gesehen, in dem es so wenig ums Segeln geht, dafür die doch weitgehend verschwundene Kultur des Kartenspiels so lebendig gehalten wird wie in Vigo. Am Mittwoch sitzen dann die Herren an den Spieltischen, weniger zahlreich, dafür über anderen Spielen, Domino beispielsweise.

In den Tagen, in denen ich in Vigo bin, ist dieser Yachtclub zu meinem zweiten Zuhause geworden, zu meinem Büro, meinem Wohnzimmer. Angeblich soll man hier auch ein Menü für etwas mehr als 10 Euro bekommen. An den Tagen, an denen ich ein solches gerne gegessen hätte, war die Küche aber ausser Betrieb.

Und geschlossen für die Gäste ist auch die Dachterrasse, die ein wirklich spektakulärer Ort wäre, um Partys zu feiern. Aber vielleicht hat man ja 1945 am Beton gespart oder die Statik ist den heutigen Musikanlagen und Bässen nicht gewachsen. Auf jeden Fall: Zutritt verboten. Trotzdem: Ich mag diesen Ort der legeren, etwas gereiften Noblesse.

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von

Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

3 Kommentare

  1. Rolf haller sagt

    Interessanter reisebericht. Bin selbst bodenseesegler auf einer 8m dehler delanta. Bin in der nzz im bretagne bericht auf ihre adresse gestossen. Weiterhin viel glück. Gruss rolf

    • Ronald sagt

      Lieber Rolf, besten Dank für die Wünsche. Werde weiterhin berichten. Herzlich, Ronald

  2. Pingback: Die Pulpo-Story – Meergeschichten

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