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Segellegende inkognito

Tréguier in der Nordbretagne, wo man spannende Leute trifft.

Ich war gerade im Begriff, den Ponton im Hafen von Audierne zu verlassen, als ein kleines grauses Dinghy anlegte. An Bord befanden sich eine Frau und ein Mann. Zu ihren Füssen lag ein riesiges Knäuel grüner Leinen. Es sah aus wie der Kopf einer meergeborenen Medusa, mit dem Unterschied, dass da keine Schlangen züngelten, sondern ein Gewirr aus giftgrünem Nylon einen modrig-fischigen Geruch verströmte.

Der Wirrwarr war unschwer als Fischergerät zu erkennen; ich ahnte, was den beiden widerfahren war. Denn dieses Medusenhaupt hat ungefähr die gleiche immobilisierende Wirkung auf Boote wie die antike Hexe auf Besucher ihrer Höhle. Verfangen sich die Leinen in einer Schraube, endet die Fahrt abrupt und der Motor wird abgewürgt.

Es braucht die Maschine eben doch

Man mag sich die berechtigte Frage stellen, warum Segelschiffe nicht ganz einfach die Segel setzen und die Fahrt mit der Hilfe des Windes fortsetzen. Glauben Sie mir, es gibt Situationen, in den das schlicht unmöglich ist. Zuweilen bläst überhaupt kein Wind. Und ja, Flaute kommt sogar auf dem Atlantik vor. Oder man ist gerade im Begriff, in einen Hafen hineinzufahren und anzulegen. In solchen Fällen will Murphey’s Law zwingend, dass der Wind kräftig aus der falschen Richtung bläst und einen glatt auf die Hafenmauer drückt. In diesem Fall garantiert nichts, dass ein geeigneten Ankerplatz gleich um die Ecke liegt. So dumm es also klingt: Auch als Segler ist man auf die Maschine angewiesen.

Die beiden hatten wenigstens Glück im Unglück. Dieser Beitrag der Fischereiindustrie zu einer sicheren Seefahrt und sauberen Meeren verhedderte sich an einem Ort in der Schraube, wo man nicht gleich auf einen Felsen getrieben wird. Aber es bedurften einiger Tauchgänge, um die Leinen zu durchtrennen und die Schraube zu befreien. Selbstredend verwenden Fischer Materialien, die auch einer scharfen Klinge standhalten. Als mir dasselbe widerfuhr, musste ich dreimal runter, bevor ich ein armdickes Tau mit dem Brotmesser gekappt hatte.

Skrupellose Fischer

Was mich am meisten erstaunt, ist die Skrupellosigkeit einiger Fischer, mit der sie sich ihrer Leinenabfälle entledigen. In Viveiro, an der Nordküste Galiciens, fuhr ich hinter einem Trawler her. Die Crew schmiss eimerweise solcher Leinenreste ins Meer, präzise vor meinen Bug. Diese Abfälle werden natürlich nicht nur Seglern zum Verhängnis. Tiere verfangen sich in ihnen, und die Taue werden nicht selten zur tödlichen Falle.

Von Berufsleuten, denen das Meer nicht nur Arbeitsplatz ist, sondern die Grundlage ihrer Existenz überhaupt, würde man mehr Rücksicht erwarten. Aber schliesslich sind auch Fischer nur Menschen.

Nun suchten die zwei eine Möglichkeit, die Leinen an einem sicheren Ort zu entsorgen. Da gerade Strassenmarkt war, mussten sie sich an etlichen Ständen vorbeischlängeln. Ein Fischstand war leider nicht darunter. Das Bündel davor zu platzieren, wäre durchaus angemessen gewesen: Back to Sender.

Leibhaftige Begleiter

Ein wenig später trottete ich zurück zum Boot. Da standen die zwei und betrachteten meine Mistress. Es ist immer schön, wenn sich jemand für dein Boot interessiert. Und wenn dieses Interesse gar mit Bewunderung einhergeht, fühlt sich der Eigner tief geschmeichelt.

Als mich der Mann allerdings fragte, ob dies Blue Alligator wäre, staunte ich erst einmal. Sie würden meinen Video-Blog verfolgen, sagten sie, und fänden toll, was ich machte. Ich stand tatsächlich leibhaftigen Begleitern meiner kleinen Reiseberichterstattung gegenüber.

Ich tat, was man in einem solchen Augenblick tut: Ich lud sie an Bord ein und öffnete eine Flasche Wein. Wir stellten uns vor: Er hiess Pete, sie Tracey. Es wurde eine vergnügliche Plauderstunde.

Ich erfuhr, dass sie ein fast baugleiches Schiff besassen wie ich, Pippin, mit dem sie nun die ersten Reisen unternahmen. Da ich schon 16 Jahre auf einer Victoria 34 segle, ging ich sozusagen als Experte durch. Und wie es so ist, wenn man einmal zu erzählen anfängt: die Erinnerung liefert schier endlos Stoff. Sie selbst, sagte Pete, seien erst dabei, das Boot kennenzulernen und langsam ihren Reiseradius zu erweitern.

Irgendwann wechselten wir das Thema und kamen auf den Brexit zu sprechen. Anders als die alle Engländer, die ich bis jetzt getroffen haben, hatten die beiden für den Ausstieg Grossbritanniens aus der Union gestimmt. Vielleicht waren es auch nur die ersten, die ehrlich zu ihrer politischen Meinung standen.

Brexit-Befürworter

Pete hatte seine Argumente in einem dreiseitigen Essay für einen Freund in Australien niedergeschrieben, den er mir später mailte. Darin spricht er von einem Votum zugunsten von Demokratie und Selbstbestimmung und eines im Grund konsequenten Schrittes, zumal Grossbritannien ohnehin einer noch engeren Föderation, auf welche die EU unweigerlich zustreben würde, skeptisch gegenüberstünde.

Der vielleicht interessanteste Gedanke aber ist, dass Scharfmacher wie die Ukip nun eigentlich verstummen müssten, weil ihnen durch den Entscheid die raison d’être entzogen worden sei. Denke ich an die Schweiz, wo eine gewisse Partei mit Erfolg die Angst vor „fremden Richtern“ schürt, obwohl ein EU-Beitritt vom Tisch ist, scheint mir das allerdings etwas zu optimistisch.

An Deck von Blue Alligator im Hafen einer südbretonischen Stadt diskutierten also alte und zukünftige Nicht-EU-Mitglieder über die Union, bis der Wein alle war. Ich glaube, es war eine Flasche, die ich noch aus Spanien mitgebracht hatte, weshalb an dieser Stelle zumindest einer Freiheit, welche wir der Union verdanken, eine Lanze gebrochen sei: dem ungehinderten Transport unlimitierter Mengen von Alkohol auf Yachten zwischen Ländern der EU. Dann kehrten Pete und Tracey wieder auf ihr Schiff zurück, dass an der Flussmündung vor Anker lag.

Auf nach Tréguier

Ein paar Tage später segelte ich auf meinem Weg Richtung Norden um Finistère herum in die Nordbretagne. Ich steuerte einen Ort an, den ich besonders mag und der für mich fast schon das Prädikat Idylle verdient, Tréguier.

Bevor man allerdings dorthin gelangt, segelt man einer Küste entlang, die nur aus Felsen zu bestehen scheint. Es sind Granitblöcken, die wie gemeisselt und scheinbar von Riesenhand zu bizarren Formationen aufgeschichtet erscheinen. Sie wirken wie die Überreste einer uralten Festung. Nicht gerade, was man einladend nennen würde. Der Abschnitt trägt den unschuldigen Namen Côte de Granit rose. Und im weichen Licht der Abendsonne schimmern die Steine tatsächlich rosa. Aber von der See aus wirken sie nur bedrohlich, schwarz und nackt.

Nach Tréguier

Tréguier liegt an einem Fluss. Doch dessen Mündung muss man zunächst einmal finden. Zum Glück gibt es Seezeichen und GPS, denn der Weg führt ungemütlich nah an die Felsen heran und im Zickzack zwischen ihnen hindurch. Aber pünktlich zwischen der zweiten und der dritten Fahrwassertonne tauchen die Delphine auf, die hier sesshaft sind. Sie begleiten das Boot eine Weile lang, bis es ihnen wohl zu flach, zu eng, das Wasser zu süss oder es für die Tiere schlicht zu langweilig wird.

Nachdem man einen Leuchtturm passiert hat, der auf der einen Seite dekorativ rot, auf der andern nüchtern weiss gestrichen ist, schliesst sich die Küste um einen herum. Sie verengt sich zu einem schmalen Trichter.

Wie es so ist mit Leuchttürmen: In ihrem Farbenkleid sehen sie hübsch dekorativ aus. Aber natürlich dienen die Farben nur dem einen Zweck, einem eine sichere Passage zu weisen. Selber schuld, wer an der falschen Seite vorbeisteuert.

Hinter dem Leuchturm ist dann alles anders. Die Ufer sind nun nicht mehr nackter Granit, sondern dicht bewaldet, ein grüner Saum über bräunlichem Wasser. Dieses läuft, von der Gezeit geschoben, aber nicht flussabwärts, sondern hinauf.

Immer enger wird der Fluss und windet sich schliesslich durch eine schmale Schlucht. Oben thront ein Schlösschen wie aus dem Märchen. Unten im Flussknie liegen Boote vor Anker, und eines war an diesem Tag, an dem ich den Ort passierte, eine beige Schönheit mit den gleichen Linien wie Blue Alligator. Es war Pippin, das Boot von Pete und Tracey.

Die vier Stufen der Reaktion

Kaum habe ich im Stadthafen angelegt, spazierten Pete und Tracey auch schon den Ponton entlang. Wieder lud ich sie auf Blue Alligator ein, wieder sprachen wir über alle möglichen Dinge, wenn es auch zu früh für Wein war.

Inzwischen hatte sich auch ein anderer Exit angekündigt. Ich hatte von meiner Zeitung erfahren, dass man mich dort nicht mehr brauchen könne. Ich hatte damit zwar gerechnet, aber so leicht war der Brocken doch nicht zu schlucken. In seinem Essay hatte Pete über die vier Stufen einer Reaktion geschrieben, die eintreten, wenn man Widerwillen mit einer Veränderung konfrontiert wird: Schock, Verneinung, Wut und Akzeptanz. Ich habe mich damals wohl noch zwischen dem zweiten und dritten Stadium befunden.

Nach all dem, was geschehen sei, sei es aber ohne Frage besser, das Kapitel zu schliessen, meinte Pete. Voranzugehen, etwas Neues anzufangen, sei das beste. Er gab sich überzeugt, dass sich schon das Richtige auftun würde. Ich nickte natürlich mit der ernsten Miene, aber dachte mir, dass, wer so nett und offenbar ohne finanzielle Sorgen durchs Leben schipperte, dies auch leicht über die Lippen brächte. Aber ich wusste ja nicht, wer dieser Mann war.

Die Segellegende

Später bekam ich einen Bootsnachbar, der natürlich ebenfalls bewundernde Blicke auf Blue Alligator warf. Gute Schiffe seien das, sagte er, kein Wunder habe sich Pete Goss nun auch so eines zugelegt. Pete Goss? Klar doch: die Segellegende, Teilnehmer am Vendée Globe-Rennen um die Welt 1996. Damals rettete er in einem Sturm einen schiffbrüchigen Gegner. Später marschierte Pete an den Nordpol und mit einem kleinen Holzboot ohne moderne Navigationshilfen segelte er nach Australien. 2000 scheiterte er mit einer damals radikalen Katamarankonstruktion und verschwand dann aus der Öffentlichkeit.

Mit einem leisen Verdacht googelte ich den Namen. Der Mann auf den Bildern der Websites sah dem Pete, den ich kennengelernt hatte und für einen Novizen auf den Meeren hielt, verblüffend ähnlich. Danke Pete, dass du mir meine Unwissenheit nachsiehst. Dafür weiss ich deine Worte nun umso mehr zu schätzen.

Kategorie: Segler

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Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

2 Kommentare

  1. Ariane Dorier sagt

    Lieber Rony
    Und manchmal trifft man einfach „per Zufall“ auf genau die richtigen Leute, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort, in der passenden Art… – dein Bericht hierüber gefällt mir sehr! Ich hoffe, du bist inzwischen auf gutem Weg zu Stadium 4. Für alles, was danach kommt, d.h. die weiteren Stadien wie z.B. „Träumen“, „Phantasieren“, „Chaos“, sowie „Sortieren“, „mit der Realitäten in Einklang bringen“ und „Aufbruchstimmung“ „Loslegen“, „Volle Kraft voraus!“ bis hin zur „neuen, erweiterten Komfortzone“ wünsche ich dir von Herzen alles Liebe und Gute.

    • Ronald sagt

      Liebe Ariane, besten Dank für diese schönen Worte. Stadium 4 ist in Sicht. Hoffentlich bis bald. Rony

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