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Kojentage und Geldverleih

Fähre Kamin

Was soll man tun, wenn einen verzweifelt Iren um Geld für die Fähre anbetteln?

Ich bin also angekommen in meinem Sabbatical – und natürlich auf Blue Alligator – oder zumindest fast. Denn die erste Woche, die ich nun hier bin, habe ich fast nur in der Koje verbracht. Dass ich so etwas auch unter völlig normalen Umständen fertigbrächte, will ich nicht leugnen. Die Koje ist einer der gemütlichsten Orte im Schiff, kuschlig, warm und durchs Oberlicht mit Blick in die Sterne – so es welche hat. Aber nein, ich lag mit einer akuten Bronchitis in den Kissen.

Stimmlos

Deshalb konnte ich noch nichts von der fast völlig verwandelten Blue Alligator zeigen, ihrer neuen Windsteuerung, dem Hydrogenerator, der Solarzelle, dem neuen Wassertank. Eigentlich wollte ich ja alles filmen. Aber es wäre ein Stummfilm geworden, denn ich habe auch absolut keine Stimme mehr. Weggehustet. Ein schwächliches Keuchen, was wahrscheinlich ganz lustig klingt. Auf jeden Fall konnte sich der Mechaniker Pierre, als er am Mittwoch an Bord kam, um mir alles zu zeigen, ein Grinsen unter seinem Blonden Bart nicht verbergen. Nun ja, wer den Schaden hat…

Aber er durfte sich schon etwas auf meine Kosten lustig machen, denn die geleistete Arbeit kann sich sehen lassen. Und sie zu zeigen, werde ich sicher in den nächsten Tagen tun. Versprochen.

Verzweifelte Iren

Ein kleines Abenteuer gab es trotzdem und ich dachte auch schon, ich sei mal wieder so richtig tief ins Fettnäpfchen getreten. Für die Reise von Zürich habe ich einen Wagen gemietet, weil mit Segel, Kameras und vier thailändischen Winkekatzen (sind im Party-Video) zu sehen, einfach kein Reisen per Zug gewesen wäre. Am Donnerstag musste ich den Wagen in Cherbourg zurückgeben, vollgetankt. Wie ich an der Zapfsäule bei einem Supermarkt stehe, hält hinter mir ein Citroen in undefinierbarer Farbe, metallisch-schleim oder so. Ein Typ, einen Kopf grösser als ich und sicher doppelt so breit, springt aus dem Wagen und ruft: „Does anyone speek English?“

Es muss ein Reflex gewesen sein. Wollte mich bestimmt nicht aufdrängen, echt nicht. Ich antwortete spontan: „Oui. Äh, yes.“

Trotz meinem reduzierten Sprechorgan muss ich laut genug gewesen sein. Der Typ stürzt sich auf mich, als sei ich ein Rettungsring in einer endlosen See und er ein Ertrinkender. Tatsächlich sind Tränen in seinen Augen und er schlägt seine Hände vor die Brust, als würde er in ein inbrünstiges Dankesgebet ausbrechen wollen. Dann erzählt er mir, dass ihm und seinem Bruder alles Geld geklaut worden sei und sie zurück nach Irland müssten. Langer Rede kurzer Sinn: Ich sollte ihnen Geld fürs Ticket geben. Wie viel? 189 Euro.

189 Euro each

Wahrscheinlich hat die Krankheit nicht nur meine Lunge, sondern auch mein Hirn angegriffen. Auf jeden Fall bin ich so argwöhnisch wie ein Neugeborenes. Ich erkläre ihm, dass ich nicht genug Cash hätte. Aber es im Supermarkt bestimmt einen Bancomat gäbe. Ich fahre also voraus. Er und sein Bruder hinterher, und es wäre nun der Moment gewesen, Gas zu geben und abzuhauen. Aber nein, ich warte sogar, bis sie mir in der Schlange folgen können.

Nachdem ich die ersten 200 Euro abgehoben habe, schauen mich die zwei, inzwischen ist auch der Bruder ausgestiegen, nicht so ein Kasten und eher dunkelhaarig, irritiert an: „189 Euro each.“

Aha. Noch immer keine Spur von Vernunft in meinen Hirnwindungen. Ich trabe zurück zum Bancomat, hole nochmals 300 Euro raus. Man muss ja auch essen und tanken und so, und übergebe das den beiden. Sie bedanken sich überschwänglich, wollen für mich beten und mit mir Guiness trinken, sollte ich mal in Irland sein. Der Bruder küsst sogar meine Hand. Tun das Iren? Ich fotografiere noch den Pass des Kastens, sein Name Tony Stokes, und die Autonummer. Seine Karte habe ich eingesteckt. Wie ich später feststelle, steht da nur eine Telefonnummer drauf und eine Emailadresse, die jedem gehören könnte.

Wahnsinn auf dem Parkplatz

Im Augenblick, da die beiden losfahren und ich auf dem Parkplatz des Supermarkts stehe, beschleicht mich doch etwas wie Misstrauen. Was habe ich da gerade getan? Ich habe zwei Wildfremden 500 Euro gegeben aufgrund eines angeblichen, nicht näher beschriebenen Diebstahls hin? Schon mal was von Autobahnbetrügern gehört?

Zurück auf dem Schiff checke ich die Fährverbindungen von Cherbourg nach Irland. Die wollen die Geschichte aber auch nicht plausibler machen: Keine direkte Fähre nach Dublin an diesem Tag. Scheisse.

Okay, was gelernt. Vielleicht werden die 500 Euro meinem Karmakonto zugeschrieben. Im besten Fall. Aber wahrscheinlich kann ich sie ganz einfach abschreiben.

Am Freitag rufe ich ein erstes Mal die Nummer an. Sofort meldet sich eine automatische Stimme, weiblich, bestimmt nicht Tony Stokes. Ich versuche es an diesem Tag noch drei weitere Male. Keine Antwort. Hättest es ja wissen müssen, sag ich mir und mal mir aus, wie ich wohl das Geld wieder einsparen könnte.

„Are you Tony Stokes?“

Am Samstag noch ein Versuch. Anders als vorher: es klingelt. Und dann nimmt jemand ab. Ich versuche zu sprechen: „Ist da Tony Stokes?“

„Wie bitte? Lauter sprechen, kann nichts verstehen.“

„Ist da Tony Stokes?“

„Du musst schon den Mund aufmachen, wenn ich dich verstehen soll, A, A, A.“

Nur nicht auflegen denke ich und gebe mein Bestes.

„Ist da Tony Stokes?“

„Ja.“

Uff.

„Sie waren am Donnerstag in Cherbourg.“ Wir haben uns da getroffen.“

„Ich soll am Donnerstag in Cherbourg gewesen sein und wir sollen uns da getroffen haben?“

„Ja, und ich habe Ihnen 500 Euro für die Fähre gegeben.“

„Oh, ja, klar. Und ich bin Ihnen so dankbar dafür. Das werde ich nicht vergessen. Am Montag bin ich zuhause und werde das Geld überweisen.“

Ich fasse es irgendwie gar nicht. Tony Stokes existiert, er erinnert sich an mich, will mein Geld zurückschicken – with a little extra.

Er wolle mich am Montag unter dieser Nummer anrufen, verspricht er. Das ist doch schon mal etwas.

Wie die Story weitergeht? Später.

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von

Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

2 Kommentare

  1. Lieber Rony, deine Lebensgeister scheinen zurück zu sein. Bist wieder gesund? Kein zweites Mal wirst du einfach so dein Geld verschenken. Kannst dich trösten,
    denn beim Reisen brauchts Geschichten und die ist einmalig spannend – ein gewaltloser Krimi, kein Ueberfall und kein Trauma. Un caro abbraccio Pia

    • Ronald sagt

      Bin noch nicht ganz fit. Aber wenigstens wieder so klar im Kopf, dass ich das bestimmt kein zweites Mal tun werde. Naja, der arme Mann sah so hilflos aus. Und wann sieht man schon einen Riesen mit Tränen in den Augen. Das ist herzerweichend 🙂

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