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Die Pulpo-Story

Der Octopus vulgaris lebt in den Rías von Galicien.

Wir nannten ihn Pulpo-Man. Jeden Abend, wenn wir zur Hafenmauer von Muros hinüberblickten, sass er da. Er sass auf einem einfachen Klappstuhl wenige Meter von seinem Auto entfernt, das mit geöffneter Heckklappe auf der Mole stand. Zunächst wussten wir nicht, was der Mann fischte, bis er ein graues, ovales Etwas aus dem Wasser zog, das aussah wie ein Klumpen nasser Wäsche. Es war ein kleiner Krake.

Pulpo-Man holte sich jeden Abend einen und verfrachtete das Tier in den Kofferraum seines Autos. Ob er sie alle selbst gegessen hat? Gut möglich; denn der Appetit der Galicier auf Tintenfisch ist unstillbar. Kein Restaurant, keine Bar in der nordwestlichen Ecke Spaniens, wo nicht mindestens ein Pulpo-Rezept angeboten wird, als Pincho, als Vorspeise oder Hauptgericht.

Nichts für Briten

Tintenfische, genauer gesagt der gemeine Tintenfisch, Octopus vulgaris, bevölkern eigentlich fast alle gemässigten Küstengewässer des Atlantiks. Verbreitet sind sie auch im Ärmelkanal. Aber von den Briten haben die Tierchen, deren Körper eine Länge bis zu 25 Zentimeter erreichen können mit Fangarmen bis zu einem Meter, wenig zu fürchten. Mein Freund Brian, mit dem ich Pulpo-Man beobachtete, spuckt geradezu auf Tintenfisch. Das sei ganz einfach kein richtiges Essen, no real food, sagt er.

Anders die Spanier, anders vor allem die Bewohner der autonomen Provinz Galiciens, die gar einer Zubereitungsart ihren Namen gegeben haben: Pulpo a la gallega. Das Rezept ist ziemlich simpel. Der Krake wird in siedendes Wasser gegeben und gekocht, bis er weich ist. Das wird er allerdings nur, wenn dem Kochen eine ziemlich grausame Behandlung vorausgeht: Der – hoffentlich tote – Kraken wird unendliche Male gegen eine Mauer oder auf den Boden geschleudert, um die Muskelfasern zu brechen. Es geht indes auch weniger brutal. Man steckt den frischen Pulpo einfach einige Tage in die Tiefkühltruhe. Der Effekt ist derselbe.

Ist der Octopus gar, werden die Fangarme in der Regel in Ringe geschnitten, auf einem Holzteller angerichtet, mit Olivenöl beträufelt und mit Paprika gewürzt. Schmeckt ganz lecker, mit einer bloss dezenten fischigen Note, zart und doch mit einem gewissen Biss. Etwas anderes ist es, wenn der Pulpo als Ganzes auf den Tisch kommt, wie er uns in A Pobra einmal serviert wurde, und man selbst Messer anlegen muss.

Schaukochen in Vigo

Wie Pulpo a la gallega – oder a la feira – gekocht wird, kann man an einer der zahlreichen Fiestas mitverfolgen, mit denen die Galicier sich und das Meer feiern. Aber auch ausserhalb der Fiesta-Zeit gibt es Gelegenheit dazu, beispielsweise im Restaurant „Don Quijote“ in Vigo, nur wenige Schritte vom Real Club Nautico entfernt. Dort kocht der Chef persönlich und zwar auf der Terrasse.

Das Wasser bringt er in einem riesigen Kupferkessel zum Sieden. Dazu verwendet der Meister einen Butangas-Kocher, der faucht wie ein wütender Drache und jede Konversation zum Erliegen bringt. Die Kraken senkt der Koch an einer Art Bootshaken in den Kessel.

Der Koch und die Möwe

Wo der Chef den Pulpo persönlich kocht: das Restaurant "Don Quijote" in Vigo.

Wo der Chef den Pulpo persönlich kocht: das Restaurant „Don Quijote“ in Vigo.

Unterhaltsamer ist indes der ständige Kampf mit einer Möwe, den der Patron ausficht. Kaum dreht er seinem Topf den Rücken zu, kommt sie angeschwebt. Doch am Ende geht die Möwe leer aus und die Holzteller mit den Fangarmringchen landen unbehelligt auf den Gästetischen.

Es versteht sich von selbst, dass auch bei jedem Fischhändler und in den Supermärkten Pulpo zu haben ist, ganz oder ärmchenweise, tiefgefroren, roh, gekocht und vakuumiert. Man fragt sich, woher all diese Tintenfische kommen. Die Antwort, die man gemeinhin erhält: aus den Rías, den tiefen fjordähnlichen Buchten, die die Küste Galiciens charakterisieren.

Alles aus den Rías

Die Rías sind bereits Lieferanten für fast alle Miesmuscheln, die in Spanien vertilgt werden. Nun sollen sie auch noch diesen unstillbaren Hunger nach Pulpo decken? Nach offiziellen Angaben werden jährlich rund 4000 Tonnen aus den Rías gefischt. Wenn man von einem Durchschnittsgewicht von drei Kilogramm pro Tier ausgeht, sind das immerhin rund 1,3 Millionen Kraken. Man stelle sich das einmal vor: 1,3 Millionen Tintenfische, die aus dem Meer aufsteigen. Auch wenn Octopus vulgaris kein Riese ist, ein solcher Anblick würde einem das Blut gefrieren lassen.

Unübersichtliche Verhältnisse

In Wahrheit aber dürften es gar noch etliche mehr sein. Wissenschafter haben hochgerechnet, dass es eher 5200 Tonnen sind, welche die Fischer Galiciens anlanden. Die Diskrepanz liegt weniger an spanischem Schlendrian als vielmehr an der Unübersichtlichkeit der Octopus-Fischerei.

Diese wird in den Rías von annähernd 5000 Booten betrieben, vom Einmann-Kahn bis zum 50-Tonnen-Schiff. Eine Form des Arten-Managements gibt es nicht und viele Fischer bringen ihre Fänge mal hier, mal dort auf den Markt.

Wenig Krabben, viele Kraken

So ungenau die Fangzahlen sind, so unklar ist auch der Zustand der Bestände. Sorgen scheinen sich ausser den Meeresbiologen indes die wenigsten zu machen. Im Gegenteil: Es gäbe wohl gerade ziemlich viele Pulpos, meinte Pedro, der junge Hafenmeister-Assistent in Muros. Er schloss dies aus der Zahl der Krabben, die im Hafen herum schwammen, der klassischen Beute von Tintenfischen. „In früheren Jahren haben sie das ganze Becken gefüllt“, sagte Pedro.

Wenige Krabben, viele Kraken – vielleicht ein etwas verwegener Umkehrschluss. Dem Octopus vulgaris dürfte es wohl so gut oder schlecht gehen, wie den meisten befischten Arten. 2014 wurden nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO weltweit 43’334 Tonnen gefangen. In Spitzenjahr wie 1975 waren es jedoch noch 109’216 Tonnen.

Was die Galicier wohl tun, wenn ihnen der Pulpo vor der Haustür ausgeht? Das, was sie immer getan haben: Sie fischen anderswo. Nebst dem Octopus vulgaris werden jährlich zusätzliche Mengen von 120’000 bis 160’000 Tonnen nicht näher bestimmter Octopus-Arten aus dem Wasser gezogen, der Grossteil davon, 40’000 bis 50’000 Tonnen, von spanischen Trawlern auf den Sahara Banks vor Westafrika. Das meiste davon wird wiederum nach Galicien gelangen, etwa nach Ribeira, einer der grössten Fischauktionsplätze Europas. Aber das ist eine andere Geschichte.


Rezept: Pulpo a la gallega

Für 4 bis 5 Personen sollte man einen Pulpo von 2 bis 3 Kg wählen. Idealerweise wird der Pulpo vor dem Kochen tiefgefroren und bleibt drei Tage im Tiefkühlfach. So brechen die Muskelfasern. Den Pulpo am Vortag auftauen. Achtung: Er wird Flüssigkeit verlieren.

In einem grossen Topf wird Wasser zum Sieden gebracht (klassisch ohne irgendwelche Zutaten wie Salz oder Lorbeer).

Vor dem eigentlichen Kochen sollten aber Kopf und Fangarme dreimal in den Topf mit dem siedenden Wasser gesenkt und wieder herausgehoben werden. Dies verhindert, dass während des Kochens die Haut abfällt. Dabei wird der Pulpo am Kopf gehalten und ins siedende Wasser eingetaucht.

Anschliessend kann man ihn 30 bis 40 Minuten kochen. Immer wieder auf die Konsistenz prüfen, damit er nicht zu weich wird.

Während der Pulpo kocht, die Kartoffeln zubereiten. Man kann sie im Anschluss an den Pulpo für 15 Minuten im selben Topf weichkochen oder in einem separaten Topf.

Ist der Pulpo gar, lässt man ihn ein paar Minuten ruhen, bevor man die Fangarme in etwa 1 cm grosse Ringe, den Kopf in kleinere Scheiben schneidet und auf einem Teller – vorzugsweise einer Holzschale – zusammen mit den Kartoffeln anrichtet. Das ganze mit Olivenöl begiessen, salzen und mit süssem oder scharfen Paprika würzen. Je nach Geschmack.

Fertig ist der Pulpo a la gallega.

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Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

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