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Drogen? Waffen? Migranten?

Kirche von Camaret

Die Kirche von Camaret, den Fischern gewidmet, die von hier aus in See stachen, zunächst auf die Jagd nach Sardinen, später nach Langusten.

Lorient, 27. März

Ich bin nun schon ein Zeitchen in Lorient, liege sicher im Stadthafen mitten im Zentrum. Über uns gehen Hagel, Schauer und Sturmwinde hinweg. Und zwischendurch scheint die Sonne. Ein Nachbar, der mit seiner Frau und seinem Baby das ganze Jahr über auf dem Schiff lebt, hat mir die Wetterregel hier erklärt: „Noël sur le balcon, pâques au tison – Weihnachten auf dem Balkon, Ostern vor dem Kamin“.

Aber ich habe sowieso nichts vor. Ich warte auf Katrin, meine Frau, die mich in wenigen Tagen besuchen kommt. Zusammen werden wir dann den Golf du Morbihan erkunden, das „Kleine Meer“, das noch ein bisschen weiter südlicher liegt, ein Einschluss mit einer ganz schmalen Durchfahrt. Dahinter liegen Inseln, und es soll ein Klima wie im Mittelmeer herrschen. Wir werden sehen.

Keine Schönheit und doch charmant

Lorient ist ein herber Kontrast zu allen Orten, in denen ich bisher war: Die Stadt ist nach dem Krieg wohl fast vollständig neu gebaut worden. Architektonisch keine Schönheit. Aber sie hat trotzdem Charme – und einen echt maritimen Charakter. Ihr Wahrzeichen sind zweifellos die U-Boot-Bunker, die als riesige, graue Monster im Hafen stehen. Keine Bombe der Alliierten konnte sie knacken und noch heute wirken sie, als würde darin Unheimliches bewahrt. Doch in ihren Hallen lagern heute keine Kriegsschiffe mehr. Sie sind von anderen Seeleuten eingenommen worden, von den Regattaseglern, die darin ihre Rennyachten bauen und ausrüsten. Die ganz grossen, Megakatamarane und -trimarane. Dagegen macht sich Blue Alligator wie ein kleines Fischlein neben Turbodelphinen aus.
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Aber auch kleine Fische kommen voran und wir haben nun doch schon eine ganz schöne Strecke geschafft, haben ganz Finistère umrundet. Auf der Karte sieht die äusserste Spitze von Westfrankreich aus wie der Kopf eines Drachen mit offenem Maul und einer gespaltenen Zunge. Und richtig drachenmässig sind mitunter die Küsten, steile Granitfelsen, die sich als spitze Felsen ins Meer fortsetzen. Zwischen den Klippen aber liegen Strände mit weissem Sand, und wenn das Licht darauf fällt, blitzen sie zwischen den schwarzen Felsen auf.

Nah am Meer gebaut

Die Menschen leben hier auch ganz nah am Meer. An einige der Häuser aus dem grauen Stein des Landes scheinen schon die Wellen zu schlagen. Doch wo der Wind nicht mit voller Härte auftrifft, wachsen auch schon mal Palmen.

Auf der Zunge des Drachens

Nach L’Aber Wrac’h, dem letzten Hafen auf der Nordseite von Finistère, bin ich nach Camaret-sur-Mer gesegelt. Das liegt sozusagen auf der Zunge im Maul des Drachens. Wer tiefer in den Rachen vorstösst, gelangt nach Brest. Aber dahin wollte ich diesmal nicht. Camaret ist ein in dieser Jahreszeit ziemlich verschlafenes Städtchen. Im Gästehafen lagen nur ein paar wenige Schiffe. Ich machte gleich vor der Lena fest, einem deutschen Motorsegler mit einer bunt gemischten Crew: Der Eigner tatsächlich Deutscher, hinzu kommen ein Engländer, ein Portugiese und eine Litauerin. Eigentlich wollten die vier so rasch wie möglich über die Biskaya nach Portugal. Aber der Motor streikte. Nun lagen sie in Camaret und warteten auf Ersatzteile. Das nennt man Pech.

Die drei vom Zoll

Die vier blieben nicht die einzige Bekanntschaft, die ich in Camaret machte. Am zweiten Tag klopfte es ausgesprochen energisch gegen den Rumpf und ein Blick aus der Luke verriet, wer die Besucher waren: der französische Zoll. Mit diesem habe ich schon allerlei Erfahrungen gesammelt. Die lustigste liegt schon elf Jahre zurück und hat sich an einem völlig anderen Ort zugetragen. Damals wurde ich auf offenem Meer geentert und ein übereifriger Beamter stellte fest, dass ich eigentlich einen Droit de Passport benötigen würde, um ein Boot in Frankreich liegen zu haben, eine Art Aufenthaltsbewilligung, wie ich es verstand.

Da ich das nicht hatte, musste ich mit den Zöllnern an Bord in den Hafen zurück, und weil ich neben den Kosten für diesen Droit de Passport auch noch eine happige Busse bezahlen musste, klapperte ich mit drei Zöllnern im Auto alle Bankautomaten des Ortes ab, bis ich den Betrag zusammenhatte. Ich bezahlte also, bekam einen Schein und das war’s dann – oder auch nicht. Ein paar Wochen später, zurück in der Schweiz, bekam ich Post vom französischen Zoll. Man teilte mir mit, dass ich doch keinen Droit de Passport benötigte und das Geld wieder abholen könnte, in Le Havre. Schicken, Banküberweisung, Check, alles nichts zu wollen. Ich fuhr also nach Le Havre und dort bekam ich vom selben übereifrigen Zöllner ein Couvert überreicht mit der Aufschrift „Suisse“. Darin die exakt gleichen Geldscheine, die ich damals abgehoben hatte.

Den Brief von damals zeige ich nun jedes Mal, wenn ich Besuch vom französischen Zoll bekomme, und es ist amüsant zu erfahren, dass mein Bekannter von einst inzwischen im Rang deutlich aufgestiegen ist: Er leitet die Basis in Brest.

Die drei Zöllner, die mich in Camaret besuchten, konnten über den Brief ihres heutigen Chefs auch ganz nett lachen. Das hinderte sie allerdings nicht daran, inquisitorisch vorzugehen. „Haben Sie Drogen an Bord? Waffen? Emigranten?“

Peinliche Durchsuchung

Blue Alligator ist kein Riesenschiff und sehr übersichtlich. Einen Emigranten hätte ich, so es sich nicht um ein Kleinkind gehandelt hätte, nirgends verstecken können. Trotzdem begannen die drei das Schiff zu untersuchen, peinlich genau; jedes Schränkchen wurde geöffnet, die Koje durchwühlt. Schliesslich viel der Blick des einen auf den Koffer meiner Reisegitarre. „Was ist da drin?“ Seinem Ausdruck war anzusehen, was er dachte. „Nein, keine Knarre. Nur eine Gitarre“, sagte ich, „soll ich den Koffer aufmachen?“ Das wollte er dann doch nicht. Irgendwie wurde das Ganze ja auch immer peinlicher und endlich gaben sie auf, überreichten mir einen Zettel, worauf bescheinigt wurde, das Schiff untersucht zu haben und alles sauber sei.

Dann machten sie sich von Bord. Doch kaum hatte ich mich entspannt, klopfte es schon wieder. Der eine hatte seine Sonnenbrille vergessen. Auch Zöllner sind nur Menschen.

Bei Commissaire Dupin

Am folgenden Tag verliess ich Camaret mit Kurs auf Audierne und anschliessend Concarneau. Concarneau ist schon eine echte Stadt und inzwischen nicht nur bei einer deutschen Leserschaft bekannt wegen eines Roman-Kommissars, Commissaire Dupin. Dieser löst knifflige Fälle und schwärmt von der bretonischen Landschaft nicht minder wie von der bretonischen Küche. Als Hauptquartier hat er sich tatsächlich eine sehr hübsche Stadt ausgesucht, oder besser, wurde dahin von Paris strafversetzt. Gleich gegenüber des Yachthafens liegt die Ville close, die Altstadt hinter hohen Festungsmauern, die der berühmte Vaubin gebaut hat: Kleine Fischerhäuser, in denen heute Boutiquen Touristen mit Souveniers und bretonischen Bisquits versorgen. Gegenüber der Ville close liegt ein grosser Platz – ein grosser Parkplatz -, gesäumt von stattlicheren Häusern, die beweisen, dass Fischer auch reich werden können. Eines dieser Häuser ist das Restaurant Amiral, das Leib- und Magenlokal des Commissaires. Und natürlich gibt es dort ein Menu du Commissaire Dupin – Entrecôte und Kartoffeln.

Ich habe nicht dort gegessen, sondern an Bord; Kabeljau vom örtlichen Fischhändler, frisch und lecker. Aber nicht einmal in bretonischer Butter, sondern in normannischer. Immerhin in gesalzener. Da das Wetterfenster sich zu schliessen drohte, blieb ich nur eine Nacht in Concarneau und lief weiter nach Lorient. Schade, aber ein Grund zurückzukehren.

Schon wieder ein Zollboot

Und hier bin ich also. In der Stadt ohne tourismuswürdige Altstadt, genauer ohne jegliche Altstadt, dafür mit ausnehmend freundlichen Bewohnern. Das Zollboot liegt nur ein paar hundert Meter von Blue Alligator entfernt. Ich frage mich, wie lange es dauert, bis sie die Schweizerflagge entdecken und anklopfen.

Traue nie einem heulenden Iren

Ein kleiner Nachtrag muss hier noch sein: Die 500 Euro, die ich dem aufgelösten Iren noch in Cherbourg für die Heimreise gegeben habe, hat bis jetzt nicht bezahlt. Trotz Beteuerungen aller Art. Es ist also Tatsache: Traue niemals einem heulenden Iren, wenn er dich um Geld anbettelt.

4 Kommentare

  1. Beatrice Brenner sagt

    Lieber Ronny! Vielen Dank für Deine wunderbaren Zeilen – die ich gerne auch Matteo vorlesen werde! Magst Du Dich noch an meinen Neffen erinnern? Er mag sich jedenfalls gut an Dich erinnern – und träumt (seither) auch, auf einem, Schiff zu leben! Du bist ihm aber einen grossen Schritt voraus. Sei ganz lieb gegrüsst – und weiterhin viel Spass! LG, Beatrice

    • Ronald sagt

      Liebe Beatrice, das freut mich doch, wenn mein kleiner Blog Matteo inspirieren mag. Grüss ihn von mir und sag ihm, all das hätte auch mit Träumen begonnen. Ganz liebe Grüsse, Rony

  2. Beat Bumbacher sagt

    Lieber Ronny,

    Verfolge als Nicht-Nautiker fasziniert Deine Odyssee. Keep going. Und bin natürlich erschüttert über die Schlechtigkeit der Menschen von der grünen Insel.
    Herzlich,
    Beat

    • Ronald sagt

      Lieber Beat, ja, die von der grünen Insel. Was soll man sagen. Deshalb lass ich sie auf diesem Trip wahrscheinlich aus. Oder ich segle dann doch noch da hin, um mich eines Besseren zu überzeugen. Auf jeden Fall schön, von dir zu hören. Herzlich, Rony

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