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Von Cherbourg nach Tréguier

Windpilot

Der Windpilot steuert Blue Alligator sicher durch hohen Seegang und achterlichen Wind.

Tréguier, 14. März 2016

Ich bin nun endlich unterwegs. Es brauchte einen kleinen Ruck, damit ich mich aus der Gemütlichkeit des Hafenlebens befreite und die Reise, die ich doch so sehr herbeigesehnt habe, endlich antrat. Doch wenn mal man den ersten Schritt gemacht hat, geht es dann doch ganz leicht.

Leinen los!

Am Samstag habe ich in Cherbourg bei Hochwasser die Leinen losgeworfen und bin Richtung Westen ausgelaufen. Wind hatte es nicht so richtig. Und über allem lag ein diesiger, grauer Schleier. Aber wenigstens kam ich gut durchs Alderney Race. Das ist jene Passage zwischen Cap de la Hague an der Westspitze der Normandie und der kleinen Kanalinsel Alderney. Dort zieht der Strom mit manchmal bis zu 10 Knoten um die Ecke und macht aus der See eine Achterbahn. Selbst bei Flaute gibt es Stellen, an denen man ziemlich durchgeschüttelt wird.

Auch vom Kap war nicht viel zu sehen. Der hohe Leuchtturm stand als graue Silhouette von einem grauen Himmel und war schon bald im Dunst verschwunden. Steuerbord passierte ich Alderney. An diesem Tag keine Destination. Ich wollte weiter. Gegen Abend schliesslich kam Guernsey in Sicht, das heisst, zunächst die vorgelagerten Felsen und die beiden kleineren Inseln Herm und Sark.

Ankunft in Guernsey

Will man nach Guernsey, muss man in den Little Russel einfädeln, den Sund zwischen Herm und Guernsey. Ich bin zwar schon etliche Male hier gewesen, aber die Unterwasserfelsen gebieten Respekt. Und auch im Little Russel zieht der Strom beachtlich. Man sieht es an den Bojen, die so aussehen, als würden sie in einem Fluss stehen, so stark reisst das Wasser an ihnen.

Wer im Hauptort von Guernsey, Peter Port, festmachen will, muss warten, bis genug Wasser im Hafen steht. Ja, die Gezeiten diktieren hier alles. Und wer zu früh ist, wie ich es war, muss sich in Geduld üben. Bei den aktuellen Temperaturen ist das schon eine ziemliche Probe – 5 Grad Celsius im Schiff. Ich wartete wohl zwei Stunden, bis über dem Sül genügend Wasser stand und ich einer heissen Dusche näher kam.

Die Schweiz existiert nicht

Doch zunächst musste ich ins Hafenbüro. Der Mann am Tresen war wohl eher der Stellvertreter des Hafenmeister-Stellvertreters. Freundlich, doch von eher minderer geistiger Flexibilität. Auf jeden Fall versuchte er mindestens ein dutzend Mal in seinem mobilen Computerchen, Schweiz als Heimathafen von Blue Alligator einzugeben. Was das Gerät natürlich nicht akzeptieren wollte. Bei der Länderauswahl war indes Helvetia auch nicht vertreten. Schon hatte er anstatt Switzerland Swasiland eingegeben, was ich dann doch nicht hinnehmen konnte. Also die Zahlungsabwicklung auf den nächsten Tag verschieben. Und wie ist es mit der Dusche? Oh, sagt mir der nette Mann, die grossen Duschen seien geschlossen. Ich könne aber die kleinen benutzen – auf der anderen Seite des Hafens.

Irgendwie zu reich

Bis jetzt mochte ich Peter Port eigentlich. Aber dieses Mal hatte ich wirklich keine Lust, länger als nötig zu bleiben. Diesmal kam mir die Stadt übermässig künstlich vor, die schicken Restaurants, die unzähligen Kleidergeschäfte. Alles auf ein paar Gassen verteilt, die die ganze Stadt ausmachen. Geld scheint hier genügend vorhanden, für die einen zumindest.

In den Restaurants, wie im Boathouse gleich am Hafen, wo ich am Abend eine Suppe löffelte, die meine Innentemperatur wieder etwas über den Gefrierpunkt ansteigen liess, arbeiten ausschliesslich Menschen aus Osteuropa. Wenn sie nicht gleich einen angeschwemmten Segler bedienen müssen wie mich, der in Seestiefeln und Friesennerz einen Platz begehrt, besteht ihre Klientel aus den herausgeputzten Insulanern. Oder aus Pärchen, bei denen man nicht recht weiss, was sie eigentlich zusammengeführt hat, wie meine Nachbarn an diesem Abend. Beide waren wohl um die Dreissig. Er, Kurzhaarschnitt und Dreitagebart, Pullover. Sie langes, blondes Haar und stark geschminkt, schwarze Lackstiefel, schwarzes Kleid.

Während er unablässig sprach, wickelte sie  eine Strähne um einen ihrer Finger, der von einem langen, spitzen Nagel mit einer silbernen Lackierung gekrönt war. Sie tranken Rosé. Und wenn ich auch kein Wort verstehen konnte, so schien es sich doch um ein Versöhnungsgespräch zu handeln. Er musste um irgendwas um Verzeihung bitten. Bevor er nach draussen ging, um eine Zigarette zu rauchen, trat er auf  auf ihre Seite und drückte ihr einen Kuss auf die gepuderte Wange. Sie liess es geschehen, wenn auch ohne sichtlichen Gefühlsausdruck. Ich glaube, das erste Wort sagte sie erst, als das erste Glas der zweiten Flasche gefüllt wurde. Aber da stand ich schon auf, um mich in die Koje zu werfen.

Und weiter geht’s

Am nächsten Tag verliess ich Peter Port um 10 Uhr – nachdem ich doch noch die Hafengebühr bezahlen konnte und sich das Problem mit Switzerland löste: Man stellte sich ganz einfach auf den Standpunkt, dass es das Land nicht gäbe und ich also einem andern zugeschlagen wurde. Es war, glaube ich, aber doch nicht Swasiland.

Der geniale Windpilot

Im Laufe des Tages legte der Wind von achtern zu. Mein elektronischer Autopilot schaffte es nicht mehr, Kurs zu halten. Nun war die Stunde des Windpiloten gekommen. Der Windpilot ist eine Windsteueranlage. Ein Wunder! Man muss die Windfahne, ein längliches Brettchen, das am einen Ende der Anlage aufgesteckt wird, in den Wind stellen, bis sie aufrecht tanzt. Dann nämlich hält sie durch das Pendelruder im Wasser das Schiff auf Kurs. Zwei Seilzüge sind mit der eigentlichen Ruderanlage verbunden, und korrigieren den Kurs in einer Geschwindigkeit und mit einer Präzision, die mich in Erstaunen versetzte.

Zugegeben, es dauerte etwas bis ich alles so eingestellt hatte, bis es funktionierte. Aber dann blieb Blue Alligator tatsächlich auf einem stabilen Kurs, und das bei zunehmendem Seegang, der selbst mich als Rudergänger ziemlich auf Trab gehalten hätte.

Eigentlich eine einfache, mechanische Sache. Aber perfekt ausgeklügelt.

Felsen, nichts als Felsen

Gegen fünf Uhr abends schliesslich zeichnete sich die Küste der Nordbretagne vor dem Sonnenuntergang ab. Eine Felsenlandschaft, zackige Klippen, für einen Segler das wahre Grauen.  Da, ein Leuchtturm: Les Héaux-de-Bréat. Ich bin zu weit östlich für die Einfahrt in den Fluss nach Tréguier. Nun muss ich das Steuer wieder übernehmen und sogleich beginnt harte Arbeit. Es dauert mindestens eine Stunde, bis ich die Boje erreiche, die mir den Weg in die Einfahrt weist. Glückliche Seeleute von heute. Ohne die Seezeichen, ohne GPS-Navigation, wie hätte ich die verwinkelte Flussmündung je finden können?

Die Locals mit den Flossen

Ich muss um etliche Tonnen manövrieren; es geht eben nicht einfach geradeaus. Dafür tauchen plötzlich zwei Delphine auf. Es seien ortsansässige, lasse ich mir später erzählen, und sie begrüssten jeden. Okay, ich nehme es nicht persönlich oder besser, ich fühle mich doch etwas geschmeichelt, den beiden Meeressäugern begegnet zu sein. Für Fotoshooting fehlen mir aber die Zeit und freie Hände. Ich muss jetzt durch eine enge Passage in den Fluss rein. Der Strom schiebt gewaltig. Und noch immer hat es genügend Wind, dass ich mit sieben Knoten dahin rausche.

Doch kaum bin ich im Fluss, ist der Seegang weg. Flaches Wasser. Und anstatt eine zerklüftete Küstenlandschaft umgeben mich plötzlich grüne Wiesen. Dort wo der Fluss am engsten ist, die letzte Biegung vor der Stadt, sind die steilen Hänge mit Bäumen dicht bewachsen, und darin eingebettet ein kleines Schloss. Dann sehe ich den Turm der Kathedrale. Und nun sind es noch wenige Meter.

Ich mache fest, bin da. Zufrieden, aber wieder einmal durchgefroren. Heute nur noch Heizungen einstellen, was essen und in die Koje.

Dusche, ungeheizt

Am nächsten Tag bei einem freundlichen Hafenmeister. Alles da, Wifi, Dusche. Nur, das Duschhäuschen sei nicht geheizt, sagt mir der Mann und rät, das Wasser laufen zu lassen, bevor ich mich auskleide. Er vergisst leider zu sagen, dass die Dusche über eine Kette betätigt wird, die man ständig gezogen halten muss. Sonst gibt’s kein Wasser. Also mit der einen Hand ziehe ich an der Kette, bis das warme Wasser kommt. Mit der anderen streife ich dann irgendwie meine Kleider ab. Und rein ins Vergnügen. Raus ist allerdings keines mehr.

Das Dorfcafé

Tréguier liegt über dem Hafen auf einem Hügel. Es ist recht hübsch, gebaut aus dunkelgrauem Granit. Alt – und ziemlich verweist um diese Jahreszeit. Ich setze mich ins einzige offene Café am Dorfplatz. Da sind alle, und alle werden sie vom Wirt mit Handschlag begrüsst, selbst die Kids in Punkmontour. Ich lese die lokalen News und erfahre, dass sich die Anzahl Schiffshavarien im Ärmelkanal 2015 gegenüber dem vorangegangenen Jahr verdoppelt haben. Warum? Aufgrund verschäfter Abgasevorschriften. Die Schiffe müssen, bevor sie in europäische Gewässer einlaufen, Treibstoff mit weit weniger Giftgasanteil bunkern. Das Problem nur: Die Filter haben Mühe, vom Schweröl, mit dem die Schiffe über den Atlantik dampfen, auf das leichtere raffinierte Öl zu wechseln. So kommt es zu unfreiwilligen Zwischenstopps, die als Havarie gelten. Das sind doch good News. Nicht?

Ich bleibe den Tag in Tréguier. Morgen versuche ich nach Roscoff zu kommen. Nochmals über 30 Meilen. Klingt nicht nach viel, dauert mit Blue Alligator aber sechs bis sieben Stunden. Es wird wieder kühl werden. 

Kategorie: Archiv, Unterwegs-Blog

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Ich bin 1964 in Zürich geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens als Journalist gearbeitet. Seit Sommer 2020 bin ich auf meiner Yacht Blue Alligator auf dem Atlantik unterwegs.

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  1. Pingback: Die See ist immer für eine Überraschung gut – Meergeschichten

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